■ Nebensachen aus Paris
: Einladung mit Prägedruck und Schnörkelschrift

Zweimal im Jahr lädt mich der Präsident der französischen Republik in seinen Palast ein. Das geschieht zu Neujahr und zum Nationalfeiertag am 14. Juli, jeweils mit einer profilgedruckten Karte, auf die in wunderschöner Schnörkelschrift mein Name eingetragen ist. Auf einem Begleitschreiben steht, daß ich mich elegant kleiden und pünktlich eintreffen soll. Natürlich bin ich nicht die einzige, der diese Ehre zuteil wird. In diesem Januar hat Jacques Chirac es auf 15 Neujahrsempfänge in den Salons im Paterre des Elysées gebracht: für seine direkten Mitarbeiter, für die Spitzenbeamten, für die Militärs, für die Journalisten und für die Pariser Bäcker, die dem Präsidenten der Republik regelmäßig einen Königskuchen mitbringen, wie ihn die Franzosen zu Neujahr essen.

Das Zeremoniell des Neujahrsempfanges hat sich seit den Zeiten der Monarchie kaum verändert. Nach einer kurzen Vorjahresbilanz, einer optimistischen Vorausschau und ein paar politischen Seitenhieben des obersten Repräsentanten des Staates Frankreich auf seine Gegner beginnt für den einen Teil der Gäste der Run auf die Buffets und für die anderen jener auf den Gastgeber. Wer eh schon Intimus von Chirac ist und wer es noch werden möchte, muß die Gelegenheit nutzen, um sich durch die Höflingstraube hindurch ganz nah an ihn heranzudrängeln, und ihm seine „meilleurs v÷ux“ für das neue Jahr auszusprechen.

Die Minister, die Parteichefs, die Bürgermeister und fast alle französischen patrons halten es wie der Präsident und laden ihr Fußvolk dieses eine Mal zum Umtrunk ein. Manche, wie der Pariser Bürgermeister Jean Tineri oder der Parlamentspräsident Laurent Fabius, verschicken Karten, auf denen ihre Amtsinsignien golden geprägt sind. Andere, wie die grüne Umweltministerin Dominique Voynet nutzen die Gelegenheit zur Sprachrevoluzzerei. Auf ihrer Karte nennt sie sich „Madame la Ministre“, obwohl die grauen Eminenzen der Academié française doch gerade erst entschieden haben, daß es bloß „le Ministre“ gibt – ganz egal, wie das Geschlecht ist.

Der rechtsextreme Parteichef Jean-Marie Le Pen hat mir als einziger ein Foto geschickt. Es zeigt ihn am Steuerruder seines Schiffes, während hinter ihm seine dunkelhaarige Gattin viel Schenkel zeigt und sich träumerisch an seine Schulter lehnt.

Naiverweise hatte ich mir vorgestellt, daß die Neujahrsempfänge der rot-rosa-grünen Regierung irgendwie anders sein würden und daß auch die Bewegung der Arbeitslosen im Land die Routine unterbrechen würde. Aber bei den Linken gab es genau dieselben Häppchen, denselben Champagner und genau dieselben Artigkeiten wie bei ihren Vorgängern.

Die interessanten Neuerungen fanden nicht in den Ministerien, sondern zum Beispiel beim Empfang der Stadtreiniger in einem Pariser Arrondissement statt, bei dem ein Arbeiter dem sozialistischen Bürgermeister „sozialen Rassismus“ vorwarf und sich dafür umgehend die gar nicht mehr festliche Aufforderunge einhandelte: „Zeigen Sie Ihre Papiere!“

Zu Chirac bin ich in diesem Jahr nicht gegangen. Das hatte mehrere Gründe. Erstens war bei der Sozialistischen Partei Mayonnaise auf meinen eleganten Anzug gespritzt, weshalb der sich in der Reinigung befand. Zweitens wäre ich garantiert zu spät gekommen, weil ich noch an einem Artikel für die taz schrieb. Drittens hat mich vermutlich auch der (sehr) alte Diplomat beieindruckt, der naserümpfend angemerkt hatte, daß unter dem Général (de Gaulle natürlich) „niemals Cognac mit Eis“ im Elysée serviert worden wäre und „schon gar kein Whiskey“.

Chiracs Einladungskarte werde ich trotzdem aufbewahren und wie in den Vorjahren als Bucheinleger benutzen. Meine „meilleurs v÷ux“ für 1998 übermittele ich ihm und meinen Lesern hiermit schriftlich. Dorothea Hahn