: Geburtsfehler durch überforderte Ärzte
Sind Hochleistungskliniken der Ausweg? Geburtshaus ohne Schadensfall ■ Von Lisa Schönemann
Der Verdacht, daß die Behinderungen von Kindern auf vermeidbare Behandlungsfehler unter der Geburt zurückgehen, hat sich nach einer Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) bestätigt. Die DAK rät deshalb Schwangeren, ihre Kinder am besten in einer Hochleistungsklinik zur Welt zu bringen. Auf die Unterstellung, daß Schwangere woanders weniger gut aufgehoben wären, reagieren nun die Hebammen des Geburtshauses in Altona.
Die DAK hatte 2500 Anträge auf Pflegeleistungen für schwerstbehinderte Kinder unter die Lupe genommen. Die Kinder leiden unter zerebralen Bewegungsstörungen, Lähmungen und Anfallsleiden sowie unter Sehbehinderungen bis hin zur Blindheit. In 62 von 500 näher analysierten Fällen blieb der Verdacht hängen, daß die GeburtshelferInnen versagt haben. Ein Notfallmanagement für die rechtzeitige Einleitung eines Kaiserschnitts hätte einigen von ihnen die massive Sauerstoffunterversorgung während der Geburt ersparen können.
Doch der Klinikalltag sieht anders aus: Überforderte AssistenzärztInnen schätzen Komplikationen bei Geburten falsch ein, überhören die Hinweise der Hebammen und fordern zu spät Hilfe an. Oft müssen das OP-Team oder die Neugeborenenspezialisten erst umständlich herbeitelefoniert werden.
Zwar rät die DAK zur Geburt in Hochleistungskliniken, doch von den 62 ausgewerteten Verdachtsfällen ereigneten sich immerhin zehn in speziellen Perinatalzentren, 29 Fälle in Krankenhäusern der Regelversorgung und sieben Fälle in Belegarzt-Kliniken. Auch eine moderne Entbindungsstation mit angeschlossener Kinderklinik kann demnach keine Gewähr für eine risikolose Geburt übernehmen.
Keiner der beanstandeten Fälle habe sich hingegen in einem alternativen Geburtshaus abgespielt, stellt Bettina Salis, Sprecherin des Hamburger Geburtshauses in Altona, klar. Seit Bestehen der Einrichtung habe es – bei rund 600 Geburten – keinen einzigen Schadensfall gegegeben. Die Hebamme führt dies darauf zurück, daß die Schwangerenbetreuung im Geburtshaus umfangreicher ist als in vielen Kliniken und daß bei einem Notfall unter der Geburt umgehend ins AK Altona verlegt wird.
Nach Auffassung der familienpolitischen Sprecherin der GAL, Sonja Deuter, wirken sich nicht allein medizinische Faktoren auf die weitere Gesundheit der schwerbehinderten Neugeborenen aus. „Auch der Sozialstatus hat gravierende Einflüsse auf die Überlebenschancen der Säuglinge“, betont Deuter. „Bemühungen, Beeinträchtigungen von Kindern abzuwenden, können nicht in immer größeren medizinischen Aufwand münden.“Schwerstbehinderte Kinder aus einkommensschwachen Familien würden medizinisch schlechter betreut, da die Erziehenden aufgrund ihrer eigenen Situation nicht in der Lage sind, eine optimale fachärztliche Behandlung für ihr Kind zu erreichen.
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