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■ betr.: „Die wahren Konservati ven“ (Bildungskongreß: Warum der Studentenprotest gescheitert ist), Kommentar von Ralph Boll mann, taz vom 12.1. 98
Sich von Politikern oder Professoren vereinnahmen zu lassen, haben die Studenten tunlichst vermieden. Wenn die Studenten gescheitert sind, dann an der Rhetorik der Presse, die aus ihnen gemacht hat, was sie nicht sind. Der Schatten von 68, die Erwartungen einer neuen APO, hat trotz allen Unterschieden, die immer wieder betont worden sind, die 97er, die „Pragmatiker“, „die Spaßgeneration“ wieder eingeholt. Sie versuchten, dem Ruf nach Politisierung gerecht zu werden, doch wer versucht, es mit 68 aufzunehmen, kann in Deutschland nur verlieren.
Wer „nur“ mehr Geld will, wird nicht ernstgenommen, wer eine neue Gesellschaft fordert, allerdings auch nicht. Und außerdem: Wieso ist eigentlich die Rede von „nur“ mehr Geld? Kann denn niemand offiziell zugeben, daß am Geld vieles, eigentlich so ziemlich alles hängt, unter anderem auch die Realisation von Reformen und Utopien? Der Ruf nach „mehr Geld“ stimmt auch dahingehend, daß die Politiker einsehen müssen, daß bei der Bildung nicht gespart werden darf, wenn man nicht viele kleine Arbeitslose produzieren will.
[...] Es sei noch mal darauf hingewiesen, daß sich die Studenten bei ihren Protesten nicht gegen einen organisierten Umbau der Institution Universität (der immer noch auf sich warten läßt, obwohl er bitter nötig ist) richtet, sondern gegen einen wahnsinnigen undurchdachten Abbau, der Demontage der Universität. Es geht um die Schließung von Bibliotheken, um fehlende Literatur und Assi- Stellen, gegen Studiengebühren ohne einen Anflug von Gegenfinanzierungen, um Sparmaßnahmen, die das Studium auf lange Sicht auf jeden Fall demolieren, wie die zukünftige Uni auch aussehen soll. Der Protest geht gegen die Planung einer Elite-Uni, in der der Arbeitsmarkt von immer breiteren Schichten eine umfassende Bildung und Ausbildung verlangt.
Die Stärke der Studentenproteste von 1997 lag in ihrem Pragmatismus, in der Anschaulichkeit ihrer Kritik. Und in dieser Hinsicht haben die Proteste erstaunlich viele Studenten mobilisieren können. In dem Augenblick, in dem sie diese Ebene verließen, auch auf Anregung der Medien hin, die Proteste ohne gemeinsamen politischen Unterbau nicht anerkennen wollten, geriet sie ins Schlingern und allmählich in die Gefahr des Scheiterns. Wie immer. Nicht nur die Studentenproteste sind gescheitert, sondern auch die Medien, die in ihrer Studentenprotestberichterstattung immer noch am Mythos der 68er geklebt haben. Beate Schirrmacher, Berlin
Deine Anmerkungen, der studentischen Protestbewegung falle kaum Neues ein, ist sicher richtig. Zumindest für sich allein betrachtet. Tatsächlich hat sich an der Situation der StudentInnen seit den 70ern nur wenig verändert. Die Probleme sind noch immer die gleichen.
Was not tut, sind neue, viel radikalere Proteste. Ein paar Tage Streik reichen da mit Sicherheit nicht. Auch darf sich dieser Protest nicht auf die Unis beschränken, da das Problem viel weitgreifender ist. [...]
Deine Aussage, es sei eben nicht genug Geld da und deshalb müsse man anders diskutieren, halte ich jedoch für fehlgeleitet. Geld ist genug da, was fehlt, ist der gesellschaftliche Wille, das Geld für Bildung auszugeben. Es fehlt an Verantwortung der Ex-Studenten, sich für die Möglichkeit des Studiums zu revanchieren, wie in den USA üblich (Stiftungen...). Mark Seibert, Gelnhausen
Ich als Teilnehmer am BuG und Streikaktivist an der TU Berlin sehe den Studierendenstreik und den daraus entstandenen Basiskongreß als erfolgreich an. [...]
Eine studentische Basis, die großteils aus Menschen im Grundstudium und vielen Erstsemestern besteht, und eine kleine Gruppe davon, die in knapp drei Wochen einen Kongreß mit mehreren tausend TeilnehmerInnen organisiert, muß im Kontext der allgemeinen Entpolitisierung unserer Gesellschaft als erfolgreich angesehen werden. Vorbei sind die Proteste noch lange nicht – nur weil mittlerweile auch eine der drei Berliner Unis aufhört zu streiken. Die 68erInnen hatten auch Erfolge, ohne ihre Proteste als Streik zu deklarieren. Der jetzige Streik hat viele Studierende erstmals dazu gebracht, über den Tellerrand zu schauen und sich eine eigene politische Meinung zu bilden. [...]
Liebe JournalistInnen, wenn Ihr hinter den Studierendenprotesten steht, dann artikuliert das auch entsprechend. Christoph Schaefer, TU Berlin
Ich weiß nicht, auf welchem Kongreß sich Ralph Bollmann aufgehalten hat, doch beim Basiskongreß „Bildung und Gesellschaft“ (BuG) kann er nicht gewesen sein. Ansonsten hätte ihm auffallen müssen, daß es den Studierenden nicht nur um ein „Abschlußdokument“ ging, sondern daß der Forderungs- und Maßnahmenkatalog und der dazugehörige Reader nur ein Teilziel des Basiskongresses war. Im übrigen konnten sich die TeilnehmerInnen sehr wohl auf ein ausformuliertes Papier einigen.
Bereits mit der Überschrift des Kommentars begeht Ralph Bollmann einen ganz gravierenden Fehler, denn der Kongreß trug den Namen „Bildung und Gesellschaft“ und beinhaltete schon in der Überschrift ein weiteres Ziel des Treffens, nämlich die Ausdehnung des Studierendenprotestes auf die gesamte Gesellschaft. Darüber hinaus sollte es doch einem fortschrittlichen und geachteten Redakteur der tageszeitung nicht passieren, den Protest nur von männlichen Studenten scheitern zu lassen. Hat er etwa keine Studentinnen gesehen?
[...] Ein Ziel, den Protest auf andere gesellschaftliche Ebenen auszubreiten, ist gelungen. Kontakte zu GewerkschafterInnen, SchülerInnen, behinderten und drogenabhängigen Menschen und anderen Interessengemeinschaften sind geknüpft worden und werden vertieft. [...]
Derartige Kommentare tragen logischerweise dazu bei, daß sich die Studierenden von den Medien distanzieren und auch verweigern, da Diskussionsansätze wie unter anderem die Umverteilung der Steuergelder in Presse, Funk und TV nicht angenommen werden. Die Frage nach den wahren Konservativen muß also neu gestellt werden. Dominik Schnitter
Die große Enttäuschung an diesem Kongreß ist für mich die gewaltige Abstraktionshöhe, von der viele Uniprotestler offenbar nicht runterkommen. [...]
Woher die Kohle nehmen, ohne dabei Mechanismen in Gang zu setzen, deren soziale und wissenschaftliche Langzeitrisiken wir nicht einmal abschätzen, geschweige denn kontrollieren können? Initiative und Kompromißbereitschaft von allen Beteiligten sind gefragt: von Bund und Ländern, die eine – bedenkt man die ökonomischen Möglichkeiten dieses Landes – international herausragende (und beschämende) Unterfinanzierung des akademischen Sektors ausgleichen müssen; von den Unis und ihrer Professorenaristokratie, die von teurem Beamtenrecht und labyrinthischen Verwaltungsprozeduren Abschied nehmen müssen; und auch von den Studierenden, die ein Angebot machen sollten, wie sie zur Entlastung der Unis beitragen können.
Am intelligentesten scheint mir eine studentische Gegenleistung fürs Studium in Form obligatorischer kostenloser Arbeit zu erbringen, weil diese den finanziell bedingten Vorsprung privilegierter Schichten im akademischen Bereich erst gar nicht wieder (bzw. weiter) einreißen läßt. Dadurch könnten nicht nur die bisherigen Mittel für studentische Hilfskräfte eingespart, sondern außerdem die Serviceleistungen der Unis erheblich ausgeweitet werden – und das ohne zusätzliche Mehraufwendungen. Diskutabel wären zum Beispiel vier Stunden pro Woche (auch Arbeitszeitkonten oder Feriendienst sind denkbar), was sich bei 13, 14 Semesterwochen und (niedrig angesetzten) zehn Mark HiWi-Lohn zum Gegenwert von 500 bis 600 Millionen Mark addiert und etwa den Gebührensätzen bereits bestehender Privat-Unis entspricht. Solcherart zu erwerbende „Arbeits-“ oder „Sozialscheine“ wären dann bei der nächsten Rückmeldung vorzulegen.
Eine zwingende Voraussetzung gibt es allerdings: Da dieser Reformweg sich auf den zweiten Blick als ernstzunehmender Studi- Jobkiller erweist, muß sich das „Drei-Körbe“-Bafög mit seiner 400 Mark Grundförderung für alle endlich durchsetzen.
Abseits vom Finanziellen ist damit zwar die – ebenfalls notwendige – Installation studentischer Mitbestimmungsrechte, die ihren Namen verdienen, noch gar nicht angeschnitten; aber abgesehen von der qualitativen Verbesserung erschließt der gerade skizzierte Vorschlag den 1,8 Millionen Immatrikulierten auch eine Verhandlungsmasse von mehreren 100 Millionen Mark – und das selbst unter Berücksichtigung zusätzlicher Verwaltungskosten und der nicht anfallenden Arbeitsleistung abgeschreckter Scheinstudierender. [...] Florian Suittenpointner,
München
[...] Wir können den Entwurf zum HRG nicht akzeptieren, er unterwirft die Hochschulen der Wirtschaftspolitik. Wer sich genauer mit Aufgaben der Hochschulen und den Dimensionen des Bildungsbegriffes beschäftigt, wird verstehen, warum die Sache so ernst ist.
Selbst wenn es für die Öffentlichkeit nicht transparent ist, warum nun dieser Entwurf so schlimm sein soll – es sollte aber offensichtlich sein, daß trotz Protesten seitens der Politiker nichts verändert worden ist. An dieser Stelle schließe ich darauf, daß es offensichtlich ein Zeichen dafür ist, daß demokratische Prinzipien in dieser Politik völlig unbeachtet bleiben. Wir Studenten haben keinerlei Anteil an politischen Entscheidungsprozessen, die unsere Lebenswelten direkt betreffen und verändern!
Außerdem sind wir der Meinung, daß genau dieses Problem noch ganz andere Gesellschaftsschichten betrifft und deshalb ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Nur: Die Demokratie fällt anscheinend mangels Beteiligung aus. [...] Sabrina Schenk, Halle
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