„Unterm Strich kommen keine Arbeitsplätze raus“

■ Jobwunder Biotechnik? Rüttgers spricht von 110.000 Jobs bis 2000. Doch Prognos dämpft die Hoffnungen, sie rechnet mit 40.000 Jobs. Rüttgers' Trick: Er rechnet auch Zulieferer dazu

Berlin (taz) – Wenn Forschungsminister Rüttgers oder Bundeskanzler Kohl das Wort „Biotechnologie“ in den Mund nehmen, reden sie als nächstes von den Arbeitsplätzen, die diese „Zukunftstechnologie“ bringen soll. Auch gestern erklärte Jürgen Rüttgers erneut, daß bis zum Jahr 2.000 insgesamt 110.000 Menschen in diesem Sektor arbeiten würden.

Grundlage für die Behauptung ist ein Gutachten von Prognos in Basel. Das Wirtschaftsforschungsinstitut hat ein Gutachten für das Forschungsministerium erstellt, von 110.000 Arbeitsplätzen war jedoch nie die Rede. „Wir haben die Zahl der heute in Deutschland in der kommerziellen Biotechnologie, das heißt in der Wirtschaft, vorhandenen Arbeitsplätze auf 20.000 geschätzt und gesagt, daß bis zum Jahr 2000 in etwa eine Verdoppelung erwartet werden kann“, sagt Prognos-Vizedirektor Gerhard Becher. 40.000 Arbeitsplätze also, nicht mehr.

Rüttgers spricht dagegen bereits heute von 35.000 bis 40.000 Jobs in der Biotechnik. Der Trick: Jeder Betrieb, der irgend was an Biotechniker liefert, wird mitgerechnet – auch wenn's nur Reagenzgläser sind.

So kommt der Forschungsminister auch auf die 110.000 Jobs für 2000: „Die Zahl bezieht auch Wissenschaftler in Forschungseinrichtungen und Hochschulen oder Zulieferer mit ein“, sagt Becher. Doch die meisten dieser Arbeitsplätze existieren bereits ohne die Biotechnik. „Unterm Strich kommen mit Sicherheit keine Arbeitsplätze raus“, stellt Becher fest. Denn die Gentechnologie führe nicht zu neuen Produkten, sondern ersetze lediglich welche, die bereits vorher dagewesen seien. Am Beispiel Insulin zeige sich, daß das Medikament mit den neuen Methoden viel effizienter hergestellt werden könne, und das koste Jobs.

Daß in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern weniger Geld in die Bio- und Gentechnik investiert wird, führt der Prognos-Vize nicht auf die angeblich so schlechten Rahmenbedingungen zurück. „Die stimmen im Grundsatz.“ Im Gegenteil: Gesetzliche Bestimmungen etwa für die Zulassung neuer Produkte seien in den USA viel härter. Das größte Problem in Deutschland seien die Steuern und ein Börsengesetz, das die Entstehung eines privaten Marktes für Risikokapital erschwere. Mangelnde Akzeptanz der Bevölkerung störe die Unternehmen dagegen nicht, dies hätten Fallstudien in Pharmaunternehmen eindeutig gezeigt. Die deutsche Industrie investiere zurückhaltender als Schweizer oder US- Amerikaner. Die öffentliche Forschungsförderung spiele hierzulande eine viel größere Rolle: Jede zweite investierte Mark stamme aus öffentlichen Töpfen.

Doch auch Rüttgers will nicht mehr jammern. Rechtzeitig zum Wahljahr spricht er nun vom „Durchbruch“ auf dem Weg zum europäischen Standort Nummer eins für „Biotechnologie“. So schnell geht das. Helga Keßler