: Gute Laune auch für Sitzenbleiber
■ Mutlu, Aziza-A und Paul aus der Neustadt zeigten im Schlachthof Community-Geist, nur Udo L. wurde an die Hotelbar entführt
Zum Schluß waren sie alle zusammen auf der Bühne, zollten einander und dem Publikum Respekt und zeigten mit einem ausgedehnten Freestyle-Jam für Freiwillige, wie HipHop Community geht: Aziza-A plus DJs und Tänzerinnen, Mutlu, Cribb 199 und Paul. Über Rap-Nachwuchs Paul wußte niemand Genaues, außer daß er aus der Neustadt kam. Das beinhaltete schließlich der Text seines gelungenen Spontan-Raps.
Nur einer mochte nicht mitmachen. Udo L. aus H., Panik-Rocker von Berufswegen, war zwar samt Posse angerückt, um den Auftritt seiner ehemaligen Mitstreiterinnen Mutlu zu begutachten und Autogrammkarten zu verteilen, aber zum großen Finale hatte ihn das Udo-Mobil schon wieder an die Hotelbar gebracht. Das Getränkeangebot der Schlachthoftheke war ihm nicht ausreichend. So nahm dann die Backstage-Party durchs „Warten auf Udo“gar beckettsche Dimensionen an.
Dabei kann man auch ohne Udo Party machen. Aziza-A und Mutlu machten es vor. Mutlu hatten sogar Hilfsmittel mitgebracht: Zur interaktiven Lichtgestaltung bei ihrem Song „Wann rufst du mich an?“warfen sie Wunderkerzen ins Publikum. Ansonsten erlebte man an diesem Abend zwei überraschend versöhnliche Mutlus. Können die Schwestern es sonst gar nicht verknusen, wenn bei ihren Auftritten nicht ausnahmslos jeder aufsteht und mitmacht, ließen sie diesmal zumindest den hinteren Reihen ihre Ruhe: „Na, dann bleibt eben sitzen. Hauptsache euch gefällts.“Einen Erklärungsansatz für die mangelnde Bereitschaft zur aggressiven Konfrontation lieferte Rapperin Derya selbst: „Heute abend sind unsere Eltern hier, und Mama hat gesagt, ich soll nicht so viele schweinische Wörter benutzen.“Die Eltern konnten stolz auf ihre Töchter sein; nicht nur, weil Derya sich angesichts der kalten Witterung dick und extra-large angezogen hatte und Sema sogar eine Mütze trug. Auch ihre Performance war winterfest: Trotz Halbplayback wirkte der Sound lebendig und mitreißend, besonders bei wuchtigeren Nummern wie dem heimlichen Fan-Hit „Du verlierst dein Gesicht“oder dem heftig gitarrenlastigen „Laß ihn raus“. Aber auch langsame Nummern profitierten vom lauten Live-Sound: der vermeintlich düdelige Ohrwurm „Wann rufst du mich an?“groovte ebenso exzellent wie das schwüle „Ich will dich“, obwohl bei Semas Solonummer dank Präsenz und Organ der Künstlerin sicherlich nur ein Narr auf den Groove achtete.
Die Berliner Rapperin Aziza-A setzte musikalisch verstärkt auf eine gute, alte HipHop-Tugend: Das Scratching. Dafür hatte sie zwei DJs mitgebracht, die zu gut waren, um ausschließlich im Hintergrund zu kratzen. So bekamen sie ausgiebige Solopassagen zugesprochen, sehr zur Freude des Publikums. Jenes erfreute sich zudem an den beiden quietschvergnügten Tänzerinnen, die tanzten, während die DJs Platten von orientalischen Saitenklängen bis Old-School-Hip-Hop auflegten und Aziza-A gut aufgelegt rappte. Sie rappte überwiegend türkisch, erklärte ab und an, was sie da rappte, und animierte das Publikum erfolgreich zum „Aziza!“- bzw. „A!“-Rufen. HipHop hooray, HipHop okay.
Andreas Neuenkirchen
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