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Christen haben das Gefühl, keine Chance zu haben

Der Rat der Nahöstlichen Kirchen kritisiert in einer Erklärung die Dominanz der Muslime in der Region  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Der Rat der Nahöstlichen Kirchen legte den Finger auf eine offene Wunde. Christen seien im Nahen Osten einer zunehmend schwierigeren Situation ausgesetzt und einige Regierungen in der Region versuchten absichtlich ihre christlichen Minderheiten zu vertreiben, heißt es in einer Erklärung des Rates, der sich am Wochenende in Nikosia auf Zypern traf.

Besonders besorgt zeigten sich die Vertreter der ost-orthodoxen, orientalisch-orthodoxen, protestantischen und katholischen Kirchen der Region, deren Mitglieder auf 14 Millionen geschätzt werden, über die zunehmende Auswanderung ihrer Mitglieder. Wegen des Booms der ihnen feindlich gesonnenen islamistischen Ideologie und der Diskriminierung von Christen im öffentlichen Leben haben viele in den letzten Jahren ihre Koffer gepackt.

„Auswanderung ist ein generelles Phänomen, aber unter den Christen ist es ganz besonders verbreitet, da sie das Gefühl haben, keine Chance zu haben“, erklärt der koptische Bischof Thomas. Maurice Sadiq, Chef einer christlichen Menschenrechtsorganisation in Kairo, belegt diese Einschätzung mit Zahlen. Christen machen nach inoffiziellen Schätzungen sechs bis zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung aus. In den 26 Provinzen des Landes gibt es nicht einen koptischen Gouverneur.

Nur zehn der 3.600 staatlichen Unternehmen haben einen koptischen Geschäftsführer. In den 127 diplomatischen Vertretungen des Landes gibt es nur einen koptischen Botschafter. Bei den letzten Wahlen hatte die regierende Nationalpartei keinen einzigen koptischen Kandidaten aufgestellt.

Genaue Angaben über die Emigration gibt es nicht. In Kreisen der ägyptisch-koptischen Kirche schätzt man, daß jährlich mindestens 10.000 Kopten auswandern, meist nach Kanada oder Australien. Der Rat der Nahöstlichen Kirchen rief nun die Christen dazu auf, der Versuchung zu widerstehen, durch Emigration den zahlreichen Problemen zu entgehen.

In der Erklärung des Rates sprechen die Kirchen erstmals offiziell – wenngleich indirekt – die Probleme ihrer Mitglieder in den nahöstlichen Gesellschaften an. Aus Angst, noch mehr in die Außenseiterrolle zu geraten, halten sich die Kirchen zumeist mit Kritik zurück. „Arabische Christen sind ein integraler und untrennbarer Bestandteil der arabischen Familie“, schlußfolgerten etwa die Teilnehmer einer Diskussionsrunde zur Lage der Christen im jordanischen Institut für Theologische Studien vergangenen September. Als vor wenigen Jahren das ägyptische Ibn-Chaldun-Institut für Sozialforschungen in Kairo eine Konferenz zum Thema christliche Minderheiten in der arabischen Welt abhalten wollte, mußte der Konferenzort kurzfristig nach Zypern verlegt werden. Die öffentliche Meinung in Ägypten und nicht zuletzt die koptische Kirche selbst waren Sturm gelaufen gegen das Konzept, Christen überhaupt als Minderheit zu betrachten.

Besonders anfällig zeigen sich die christlichen Gemeinden, wenn sie aus dem westlichen Ausland Schützenhilfe im Kampf gegen Diskriminierung erhalten. Zu gut ist ihnen die historische Erfahrung in Erinnerung, als die europäischen Mächte ihre Kolonialpolitik in der Region mit dem Schutz der christlichen Minderheiten rechtfertigten. Als das US-Außenministerium letzten Sommer einen Bericht zur „Unterstützung religiöser Freiheiten unter besonderer Berücksichtigung der Christen“ veröffentliche, folgte in der arabischen Presse ein Sturm der Entrüstung. Mehrere arabische Länder werden in dem Bericht wegen ihres Umgangs mit ihren christlichen Minderheiten an den Pranger gestellt. „Der Westen hat immer wieder nichtmuslimische Gemeinschaften benutzt, um seine Interessen durchzusetzen“, schrieb der Chef des Koptischen Forschungszentrums in der libanesischen Zeitung an-Nahar. Der libanesische Christ Victor Sahab warf dem Westen in der arabischen Zeitung al- Hayat vor, „nur Krokodilstränen zu weinen“. In der gleichen Zeitung schrieb der ägyptische Autor Muhammad Morro, arabische Christen müßten „nur vor US-Verschwörungen beschützt werden“.

Für Bischof Thomas ist die Behauptung, Christen seien integraler Teil der arabischen Gesellschaften, Schönfärberei: „Alle haben sich über den US-Bericht aufgeregt, aber niemand hat sich in den zahlreichen Artikeln in der arabischen Presse bemüht, unsere täglichen Probleme anzusprechen“, erklärt er und fügt hinzu: „Wir brauchen keine westliche Schutzmacht, sondern eine offene Diskussion in unseren eigenen Gesellschaften darüber, wie Christen diskriminiert werden.“

Kommentar Seite 12

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