: Farcen gegen Volk und Welt
Der 30jährige Alexander Hawemann, DDR-Punk zweiter Generation und Kind berühmter Eltern, trägt den Balkan ins Theater: Leidenschaftlich kämpfen die Jungen bei ihm um ihr Leben, aber das Glück ist immer anderswo. Ein Porträt des Potsdamer Regisseurs ■ Von Nikolaus Merck
„Kabale und Liebe: Regisseur bei Premiere ertrunken!“ Weil ihm diese Schlagzeile doch zu peinlich gewesen wäre und an den glitschigen Steinen der Kaimauer kein Halt zu finden war, faßte er sich ein Herz und schwamm ans andere Flußufer. 25 Meter im schweren „Russenmantel“ und Militärstiefeln. Glücklich dem Tod durch Ertrinken entronnen, nahm Alexander Hawemann drei Stunden später auf der Bühne den Premierenapplaus entgegen. Während die Kollegen hinter den Kulissen noch immer der Pförtnerin zufächelten, die vor Schreck über den Anblick des Mannes, der in Potsdam aus der Havel kam, in Ohnmacht gefallen war.
Stoff, aus dem Starbiographien gefertigt werden. Das Leben als Anekdote. Doch Alexander Hawemanns Geschichten erzählen, so unterhaltsam sie im nachhinein klingen, von den Erfahrungen eines existentiellen Außenseiters, sie handeln von Angst, manchmal von Todesangst. Wie sie ihn befiel, als er in Belgrad nachts aus dem Bett geholt wurde, um für Milošević den slowenisch-kroatischen Abfall von Jugoslawien als Panzerfunker zu verhindern und er sich im letzten Moment dem Heldentod durch Flucht entziehen konnte. Vorher brachte er, schon in Uniform, noch rasch seine Vordiplom-Inszenierung am Belgrader Regie-Institut zu Ende. Mit dem letzten Zug gelangte der Deserteur damals, 1991, nach Berlin.
Was in der Nacherzählung so unwahrscheinlich klingt, nennt der heute Dreißigjährige „die Alogik des Lebens“. Dieser Ausdruck zu verleihen, interessiert ihn bei seiner Theaterarbeit mehr als Text und Handlung des jeweiligen Stückes. Deshalb schlägt Hawemann den Sack der überkommenen Dramatik so lange, bis verwertbare Brocken herausfallen, die er mit Alltagsjargon, Musik und vor allem aus Improvisation gewonnenem Spiel zu einem höchst belebenden, bunt schillernden Ineinander von Introspektion und Situation, bitterböser Farce und Tragik neu verwebt.
Mit seinem Selbstverständnis des „Regisseurs als Autor“ steht er gleichaltrigen Kollegen wie Armin Petras oder Stefan Bachmann nahe. Seine besondere Begabung liegt darin, daß er die Schauspieler mit seiner Lust, mit der Sehnsucht nach exzessivem Ausdruck ansteckt. Auf der Bühne wesen dann Figuren, die, in die widersprüchlichsten Bestrebungen verstrickt, aus nach außen gestülpter Seelenzerrüttung plötzlich in eine komische Studie der vielfältigen Arten des Gehens verfallen. Die häufig am liebsten auf und davon flattern möchten und, da dies naturgemäß mißlingt, am ganzen Leibe zittern, jagen und fliehen oder kurzerhand gleich mit dem Kopf gegen die Wand rennen.
„Das ist der Balkan in mir“, kommentiert „Sascha“ Hawemann das außergewöhnliche Temperament seines Theaters. Sechs Jahre lebte der Sohn von Horst Hawemann und Mira Erceg (sie: Heiner-Müller-Vermittlerin und Regisseurin in Jugoslawien und der DDR, er: der wichtigste Autor und Regisseur des DDR-Kindertheaters) im Drei-Generationen- Haushalt der Familie der Mutter in Belgrad. „Das war wie ein Fellini- Film, skurril, witzig, überhaupt nicht patriarchalisch.“
Dort geriet er auch ans Theater. Zufällig. Eigentlich begleitete er bloß einen Freund bei der Aufnahmeprüfung für die Regieschule. Nach zwei Wochen fand er zur eigenen Überraschung seinen Namen unter den drei Angenommenen. Drei von vierhundert. Bis dahin war der „Rübezahl“ das eindrücklichste Theatererlebnis gewesen, mit sieben Jahren. Während die Eltern eher vom Bühnenberuf abrieten, schleppten ihn Freunde in den achtziger Jahren in Berlin einige Male mit ins Deutsche Theater, in Aufführungen von Alexander Lang. Im „AhQ“ trat einer mit Walkman und Anarcho-Shirt auf, „das war kultig“, aber das Initiationserlebnis des Regisseurs Hawemann war es nicht. In Belgrad lernte der Regie-Eleve zwei Jahre lang alles über den korrekten Umgang eines Schauspielers mit einer Teetasse. „Ein Horrorszenario, aber im nachhinein wichtig. Wir wurden auf Präzision geeicht.“
Nach seinem an der Ernst- Busch-Schule beendeten Studium landete er 1995 im Potsdamer Hans Otto Theater, wo er im März dieses Jahres mit der Uraufführung des Arnolt-Bronnen-Erstlings „Recht auf Jugend“ Aufsehen erregte. Den achtzig Jahre alten Vorwurf für den ungleich berühmteren „Vatermord“ verlegte er in eine für ihn typische Kleinbürgerhölle, in der desinteressierte und tyrannische Alte gegen eine Jungschar nervenzerrütteter Pubertätsgymnasiasten antraten. Ein väterlicher Trainingsjacken-Hausdespot, die dazu passende geblümte Mutter, ein erfolgsgestylter Handy-Man und allerhand buntes Jugendtum spielten, belferten und tobten drauflos, daß sich die Balken des ohnehin ungeschlachten Stückes bogen. Überall herrschte danach die einig Rede vom Talent des Regisseurs, das der Kritiker der FAZ aus dem Schaum des Castorfianismus geboren sah. Fälschlicherweise. Wo der Volksbühnen- Maestro zynisch und abgeklärt nur mit den Versatzstücken unvergänglichen DDR-Lebens hantiert, meint es Hawemann bitterernst.
In seinen Arbeiten wütet der Zorn auf eine Vergangenheit, die für ihn noch lange nicht vergangen ist. Der „DDR-Punk der zweiten Generation“ hat nicht vergessen, warum er vor dem Wehrdienst in der NVA nach Belgrad geflohen war. Das Mißtrauen gegen den Intellektuellensohn auf der Schule; gegen den „Mischling“ mit der Mutter aus dem „Verräterstaat“ Jugoslawien; die Vopos, die ihm „den Iro absäbelten“ und auf gut altdeutsch zu verstehen gaben, „dich hätte man vergasen sollen“ – das „gesunde Volksempfinden in einem faschistoiden Staat“ bekämpft er heute mit den Mitteln der Farce.
Sein mit „Recht auf Jugend“ begonnenes Kleinbürger-Triptychon setzte er im Herbst mit „Bürokraten“, einer eigenhändig montierten Gogol-Collage, und zuletzt Mitte Dezember mit „Kabale und Liebe“ fort. In allen drei Inszenierungen herrscht klaustrophobische Enge und tiefste Heillosigkeit. In „Bürokraten“ rattern entseelte, biomechanisch animierte Maschinenmenschen in sechs Zellen und immer gleichen Schreibstubenritualen, die sie nur unterbrechen, um sich einander ausgesuchte Häßlichkeiten anzutun; in „Kabale und Liebe“ wesen die Millers in einer Sofa-Flokati-Fernseher-Stehlampen-Wabe als grapschende, vom Dauerkuschen verbogene Feierabendkreaturen, deren verkümmerte Elterngefühle nicht mehr Wert haben als ein Koffer voll Geld.
Das ist oft naiv, manchmal wünschte man sich etwas mehr Interesse für den Feind, aber immer ist es genau beobachtet und mit großem Schwung serviert. Dabei nie harmlos. In Sascha Hawemanns Theaterkosmos kämpfen zwar die Jungen um ihr Leben, um die Behauptung ihrer Gefühle, aber das Glück ist immer anderswo; geradezu unnachsichtig verfolgt er noch dessen kleinsten Vorschein.
„Kabale und Liebe“ versetzte er in eine Betonlandschaft, in der noch jeder pathetisch entflammte Schiller-Jüngling an seiner Liebe verzweifeln müßte. „ICH“ steht groß über der Brust von Ferdinand. Fiebrig badet der Pathetiker in Schillers Liebesmetaphern. Aber Luise ist ihm nicht mehr als ein Spiegel für seine Eitelkeit. Die starke Frau Milford verwandelt der Regisseur in ein Drogenwrack, eine paralysierte Marionette in den Händen der Mächtigen. Natürlich ist die Versöhnung überm finalen Sterbelager gestrichen. In dieser „Welt nach der Rebellion“ klingt das musikalische Leitmotiv „Schritt für Schritt ins Paradies“ nur mehr wie blanker Zynismus.
Alexander Hawemann besteht in seinen Inszenierungen gerne fast höhnisch auf der anti-utopischen Tatsache des Todes. Damit setzt er ein ungewöhnliches Zeichen in die von harmonisierender Vergangenheitsseligkeit und epigonalem Tandaradei dominierte Theaterlandschaft. Vielleicht liegt das daran, daß der „Aufklärer“, der sich selbst als „alten Sack“ sieht, seiner Generation „eine Erfahrung voraus hat“. Und die Utopie, von der im Theater so gerne schwadroniert wird? „Klar, Revolution muß sein, aber sie wird scheitern an der Fehlfunktion Mensch“, zitiert Alexander Hawemann seinen „Leib-und-Magen- Autor“ Georg Büchner und lacht.
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