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„Unter Wasser sind alle gleich“

Leben in der Bundesliga (X): Beim Blaue-Flecken-Sport Unterwasserrugby hat die Gleichberechtigung gesiegt. Die Darmstädterin Claudia Rhode ist ein schlagender Beweis  ■ Von Thomas Herget

Darmstadt (taz) – Die junge Frau kämpft bis zum Untergehen – ohne daß die Zuschauer auch nur einen Ton hören. Sporadisch nur stößt sie an die Wasseroberfläche, saugt Luft durch ihren Schnorchel, um sich anschließend wieder in der Tiefe des Sprungbeckens im Weiterstädter Hallenbad um den mit einer 14prozentigen Salzlauge gefüllten Ball zu balgen.

Weil Claudia Rhode (28) wenig Anstalten macht, ihre Jagd nach Körben vorzeitig abzublasen, beschließen die beiden, in der angrenzenden Cafeteria früher als gewohnt ihr Bierchen zu zischen.

Was die mehrmalige Süddeutsche Hochschul- und Europameisterin der Frauen an der bizarren Choreographie des Unterwasserrugby reizt, eröffnet sich dem Betrachter vom Beckenrand nur schemenhaft – natürlich ohne Worte: Das nonverbale Korbspiel ist die einzige dreidimensionale Ballsportart der Welt. Wo sonst kann ein Spieler seinem Teamkollegen, der vielleicht gerade drei Meter über oder unter ihm schwebt, Pässe zuspielen?

Rhode, im südhessischen Langen geboren, spielt nicht nur für Pulpo Wiesbaden in der Frauenbundesliga; sie ist auch die einzige Frau beim somit gemischten Bundesligisten Darmstädter Unterwasserclub (DUC). Der Meisterschafts-Dritte des Vorjahres liegt derzeit hinter Pößneck und Nürnberg auf Rang drei der 1. Bundesliga Süd. In der Westgruppe führt Titelverteidiger Duisburg.

Bereits mit zwölf Jahren ließ sich Rhode von den taktischen Winkelzügen des nassen Raufsports überzeugen: „Das ist wie bei einem Luftkampf.“ Als glänzende Technikerin sei sie darauf trainiert, „der Gegenmannschaft den Ball schon beim Zuspiel abzunehmen“. Einmal an der Pille, bestätigten Mitspieler, „kann man ihr die kaum wieder abnehmen“. Schlagender Beweis für ihren Torinstinkt an diesem Abend: blaue Flecke, zerkratzte Arme und Beine. Um die handballgroße Blase in den in vier Meter Beckentiefe verschraubten, 45 Zentimenter hohen Korb zu bugsieren, ist erlaubt, was nicht verboten ist.

Fußball kennt eh jeder. Die taz-Serie untersucht: Wie lebt es sich in anderen Bundesligen? Zuletzt erschien: Ringen am 20. Januar.

Einzige Ausnahme: Nur der ballführende Spieler darf angegriffen werden, egal ob Mann oder Frau. Schließlich habe sie „auch Hemmungen, jemandem zwischen die Beine zu greifen“, beschreibt die Biologin Rhode stellvertretend für zirka 150 in (Ex-)Männerteams tauchenden Frauen den Spagat zwischen sportlichem Wettkampf und Sexus. Bekleidet mit knapper Trikotage und spartanisch mit Flossen, Schnorchel und Taucherbrille ausgerüstet, verschwimmt unter Wasser dennoch auch das letzte männliche Vorurteil: „Unter Wasser“, sagt Rhode, „sind alle gleicher als gleich.“

Trotz dieses wunderbaren Ansatzes hapert es an Nacheiferern. Neben der Medienunattraktivität – nur wenige Schwimmbecken sind mit einer Seitenverglasung für Fernsehübertragungen ausgerüstet – machen die Darmstädter den negativ besetzten Namen der Sportart verantwortlich. Dabei hat die nach Meinung der Akteure nur wenig mit Rugby zu tun. Gleich drei Schiedsrichter – zwei davon mit Sauerstoffgeräten unter Wasser – überwachen das regelgerechte Verhalten des lautlosen Treibens über zweimal 15 Minuten. Geschicktes Bewegen mit Flossen, den Ball eng am Körper führen und sich den Gegner vom Leib halten – das zeichnet gute Spieler, neben Kraft, Ausdauer und Übersicht, aus. Rund 3.000 Aktive gründeln bislang in Deutschland, zumeist rekrutiert von Freunden oder der eigenen Familie. Mitte der sechziger Jahre aus den Tauchsportabteilungen hervorgegangen, hat sich der Mannschaftssport hierzulande in vier Ligaabstufungen etabliert. Ungeachtet internationaler Erfolge bleiben die Teams auch bei großen Turnieren weitgehend unter sich. Nicht nur die Kniffe und Tricks der jungen Sportart bleiben weitgehend im verborgenen, auch ihre Entstehung liegt im Dämmerlicht. So wollen vier deutsche Taucher in den fünfziger Jahren einen verregneten Kenia-Urlaub gerettet haben, indem sie mit einer Kokosnuß Unterwasserspiele betrieben. Zur gleichen Zeit etwa haben sich auch Freiwillige der französischen Fremdenlegion Sandsäcke unter Wasser zugeworfen. Noch hartnäckiger hält sich das Gerücht, der sportliche Vergleich basiere auf einer Kneipenwette aus dem Ruhrgebiet. Fest steht: Das erste Turnier fand 1963 statt, verbindliche Regeln gibt es seit 1977.

Wenn Rhode über die Konkurrenz von U-Rugby zu sprechen kommt, dann doziert sie wie eine Traditionalistin: Unterwasserhockey nenne sich der trendige Virus, den spleenige Franzosen jüngst über den Rhein eingeschleppt hätten.

„Das wäre nichts für mich“, sagt Claudia Rhode über das modische Treiben, bei dem ein Puck über dem Grund des Schwimmbeckens in Tore geschlenzt wird. Bevor ihr Vater vor über 20 Jahren vom beschaulichen Tauchen im Langener Waldsee zum Raufball fand, soll er mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen gehabt haben.

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