Arbeitslose vor dem großen Knall

■ Das Vorbild Frankreich setzt Arbeitslosenaktivisten unter Druck / Die Medien wollen Aktionen sehen / Neues Feindbild Sozialarbeiter in Beschäftigungsträgern: „Aufseher über Zwangsarbeit“

Unter den Arbeitslosen und Sozialhilfe-Empfängern in Bremen wächst ein neues Feindbild. „Wir müssen die Soziologen in den Projekten angreifen“, fordert der arbeitslose Metaller erregt, „die machen sich zu Aufsehern für unsere Zwangsarbeit.“Viele im Arbeitskreis für Erwerbslose der Bremer IG Metall teilen den bösen Verdacht: Wohlmeinende Beschäftigungsträger, die BSHG 19-Stellen und andere Jobs anbieten, kassieren, machen sich zu Handlangern der Politik. Sie agieren gegen die Interessen der Betroffenen, die unter dem Druck „Arbeiten oder kein Geld mehr“von den Ämtern zur Arbeit verpflichtet werden. „Ich kriege 376 Mark Arbeitslosenhilfe die Woche und die die dicken Gehälter“, schimpft einer. „Wenn die sich auf den Zwang einlassen, dann tragen sie zur Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas bei“, stellt ein Mann im bunten Pullover fest.

Zorn und Frust sind enorm im Gewerkschaftshaus am Bahnhof, wo sich zwei Dutzend von 3.000 arbeitslosen IG Metall-Mitgliedern versammelt haben, die meisten um die fünfzig, männlich und ohne Chance auf einen neuen festen Job. Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD) steht in der Kritik: Ihre Offensive „Arbeit statt Sozialhilfe“führe dazu, daß Erwerbslose an die „Sklavenhalter“in Zeitarbeitsfirmen vermittelt würden. Über den Verleih an Subunternehmer würden diese Betriebe auf Kosten der Arbeitslosen und mit Billigung der Politik enorme Profite machen.

Die Arbeitslosen sind doppelt unter Druck. Die Arbeitsämter verlangen regelmäßiges Melden und Eigeninitiative bei der Arbeitssuche. Und die Medien drängen die von der Wirtschaft Ausgemusterten, dem französischen Beispiel zu folgen und sich mit Aktionen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Die wenigen Arbeitsloseninitiativen, an die sich diese Rufe richten können, sind im Zugzwang. „Wir müssen am 5. Februar unbedingt etwas auf die Beine stellen“, sagt ein Bremer Arbeitslosenaktivist, „sonst lachen uns die Medien aus.“Der kommende Donnerstag soll Auftakt sein für eine Reihe von Aktionstagen: Immer dann soll etwas laufen, wenn die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit die neuesten Jammer-Zahlen bekanntgibt.

Aber nicht alle sehen die Sozialarbeiter als Ziel des Protests. Der potentiellen Gegner gibt es viele: Die Politik natürlich. Die „Pfeffersäcke“und „Arbeitsplatzvernichter“in der Handelskammer, die „viel Kohle scheffeln und wenige Angestellte haben“. Und irgendwie auch die „eigenen“Betriebsräte, die die rausgedrängten KollegInnen überhaupt nicht mehr sähen. Und alle, die denken, Arbeitslosigkeit könnte ihnen nicht passieren.

Was also tun, um sich ins Blickfeld der Öffentlichkeit und der anderen Arbeitslosen zu bringen? „Ein Frühstück im Arbeitsamt“, schlägt eine Gewerkschafterin vor. Dafür habe auch der Direktor seine Unterstützung signalisiert. Er will Tische und Stühle bereitstellen, solange „die Computer nicht aus dem Fenster fliegen“. Danach könnte man einen Schaufensterbummel durch die Lloyd-Passage machen, schlägt einer der radikaleren im Kreis vor, „für Arbeitslose ist Preisvergleich ja wichtig“. Eine solche Spontan-Demo wäre illegal, skeptische Blicke. „Man müßte was Pfiffiges machen“, findet einer, „nichts Verbotenes.“

„Warum eigentlich nichts Verbotenes“, fragt ein Mitfünfziger, der noch vor kurzem auf dem Vulkan Schiffe baute, „die haben uns auch nicht gefragt, ob sie uns arbeitslos machen dürfen.“ Joachim Fahrun