Zwischen den Rillen
: Gefühlsverstärker der Extraklasse

■ Nie wieder Grunge, für immer Rock: Aufgewühlte Seelen bei Pearl Jam

Hätte man eigentlich nicht für möglich gehalten, daß man sich auf ein Album ausgerechnet von Pearl Jam so freuen würde. Doch ein trübes Jahr wie das letzte, zumindest was Rockmusik angeht – so karrierebesessene Schmalspurrocker wie Oasis oder, noch schlimmer, die Kraftmeier von Rammstein –, lassen eine Band wie Pearl Jam mitsamt ihrem Vorturner Eddie Vedder und dem neuen Album „Yield“ wie eine Verheißung erscheinen. Komischerweise. Verheißung am Ende der Straße: Pearl JamAbb: Cover

Denn zumeist wandte man sich ja mit Schaudern ab, wenn Eddie Vedder kiloweise Blut, Schweiß und Tränen in seine Stimme und Songs legte, wenn er auf Konzerten den Schulterschluß mit seinem Publikum versuchte, wenn er alles Leid der Welt ausschließlich für sich gepachtet zu haben schien: Waren er und seine Band Pearl Jam es doch, die nach dem Tod von Nirvanas Kurt Cobain die Hoffnungslosigkeiten und Irrwege der Generation X huckepack tragen mußten, die echten genauso wie die imaginierten (denn einigen Spaß haben sie doch auch gebracht die Jahre 1989 bis 1994, oder?).

Diese ihnen anvertraute Aufgabe haben Pearl Jam jedenfalls mit Hingabe erfüllt, bewußt oder unbewußt, ob sie nun wollten oder nicht, da mochte keiner meckern: Bei Eddie und den Seinen fühlte sich jede aufgewühlte Seele gut aufgehoben, und einem wie Eddie Vedder glaubte man sogar dessen Verzweiflung über den Selbstmord von Cobain, über die MTV-Mafia, über den Reibach, den seine Plattenfirma mit ihm machen wollte. Dem nahm man ab, daß dahinter kein Kalkül steckte, und die Zusammenarbeit mit Medien und Plattenfirma wurde von der Band dann auch sehr konsequent verweigert: Nach dem Video zu „Jeremy“, einem Song von ihrem ersten und kommerziell erfolgreichsten Album „Ten“, gab es nie wieder ein Video, das auf MTV hätte rotieren können (was zwangsläufig Hitlosigkeit und fehlende Chartplazierungen zur Folge hatte), Interviews wurden nur spärlich gegeben, die Vinylversionen der Alben kamen oft Wochen früher als die CDs heraus usw. Und vielleicht war und ist Eddie Vedder wirklich einfach zu sensibel für einen Job als Rock- und Superstar. Hielt man ihn deswegen auch lange Zeit für einen der suizidgefährdetsten Menschen im Rockbusiness, so schaffte es die Band trotzdem, in regelmäßigen Abständen ihre Alben zu veröffentlichen. „Yield“ ist das mittlerweile fünfte. Es bestätigt einmal mehr, daß Pearl Jam eine große, klassische und solide Rockband sein möchten; eine Rockband aber, die hart, laut, indie und kratzbürstig klingen möchte, die vor allem aber mit Macht das Pathos- und Schmockrock-Image loswerden möchte, das seit dem Debüt „Ten“ an ihnen klebt.

Und hatten sie nicht auch mit diesem Album Grunge, wie man ihn später kannte, musikalisch viel mehr definiert als Nirvana mit „Nevermind“, klangen die meisten Songs von Bands wie Stone Temple Pilots, Candlebox, Seven Mary Three, Bush oder, ganz aktuell, Matchbox 20, nicht immer wie die kleinen Geschwister von „Ten“? Nie wieder Grunge heißt die Pearl-Jam-Devise, für immer Rock, und sei der noch so tot, klassisch oder konzeptionell.

Etwas erstaunlich ist es da, daß mit „Given To Fly“ ausgerechnet der Song vorab als Hit ausgekoppelt wurde, der sich am treffsichersten in Pathos, Bombast und Schmock verliert: ein ruhiger Beginn, helle, klare, eine Melodie hervorkitzelnde Gitarrenakkorde, leises Schlagzeugspiel, und ein Eddie Vedder, der sich langsam, aber sicher und dramaturgisch geschickt in die Weiten und Leeren seines Ichs oder sonstwohin röhrt, jault und jammert. Ein Gefühlsverstärker der Extraklasse, ein Song, den niemand besser spielen kann als Pearl Jam, ein Song, so peinlich wie gut.

Ansonsten wechseln sich Höhen und Tiefen auf dem Album Song für Song ab. Auf Ausflüge in Country- und Neil-Young- Gefilde, wie noch auf dem Vorgänger „No Code“, hat man verzichtet, stringent geht es in das Herz des Bratzrock mit Songs wie „MFC“ und „Brain Of J“, die kräftig und melodiös nach vorne rollen, oder „Wishlist“, der ruhig und balladesk vor sich hinschnurrt und in dem Eddie Vedder all das aufzählt, was er gern wäre: Opfer (!) (doch irgendwie lebt es sich weiter), Alien, Souvenir, Fischer, Seemann, Weihnachtsbaum etc. Wo er aber ganz am Ende auch, es ist nur noch in der Auslaufrille zu hören, singt: „I wish I was a radiosong the one that you turn on“. So ganz möchte eben auch er nicht auf die medial verstärkte Sendung verzichten. Auf Glaubensbekenntnisse wie „Faithful“ hingegen, auf Songs wie „Pilate“ oder „Do The Evolution“ (ja ja, so heißt das jetzt, nicht Revolte, Baby!, sondern it's evolution, Baby!) kann man getrost verzichten. Das mit dem „Nie waren sie so wertvoll wie heute“ läßt daher noch ein wenig auf sich warten, aber immerhin: Verläßlich sind Pearl Jam, und ihre Gemütsverfassung scheint ausgeglichen. Bloß wenn das mit dem Rock so weitergeht, vielleicht haben sie dann bald ein neues Problem. Dann ruhen nicht mehr nur die Hoffnungen der Generation X auf ihnen, sondern auch die ihrer Eltern und Kinder. Was ja ganz schön happig ist. Ob Eddie Vedder das schafft? Gerrit Bartels

Pearl Jam: „Yield“ (Epic/Sony)