Armee unter Beschuß

■ Tony Blair rollt die Untersuchungen des „Bloody Sunday“ in Nordirland wieder auf

Dublin (taz) – Die britische Regierung hat gestern eine neue Untersuchung des „Bloody Sunday“ (Blutsonntag) von Derry angeordnet. Heute vor genau 26 Jahren hatten britische Fallschirmjäger das Feuer auf eine Bürgerrechtsdemonstration in der nordirischen Stadt Derry eröffnet und 14 unbewaffnete Menschen getötet. 108 Schuß sollen abgefeuert worden sein, neutrale Beobachter sprechen aber von mindestens 800. Die damalige Untersuchung geriet zu einer Ehrenerklärung für die Armee: Die Soldaten hätten rechtmäßig gehandelt, weil sie selbst unter Beschuß gekommen waren – eine Behauptung, die sich später als falsch erwies.

Die Angehörigen der Opfer fordern seit Jahren eine neue Untersuchung. Der irische Premier Bertie Ahern hatte vor einem Vierteljahr damit gedroht, neue Beweise zu veröffentlichen, durch die auch die damals verantwortlichen Politiker schwer belastet würden. Der britische Premier Tony Blair hatte die Sache bisher auf Eis gelegt, da die Armeeführung gegen eine neue Untersuchung Sturm lief. Mit der Wiederaufnahme der Untersuchungen will Blair die Sinn Féin, den politischen Flügel der IRA, davon abhalten, den Friedensgesprächen den Rücken zu kehren.

Nordirlands Unionisten dagegen sind schwer verärgert. Ken Maginnis von der Ulster Unionist Party hält eine Untersuchung für wertlos. „Man hat eine Reihe von Anschlägen auf mich verübt“, sagte er, „aber ich hätte Schwierigkeiten, mich nach zwei Jahren an die Einzelheiten zu erinnern, geschweige denn nach 26 Jahren.“ Die Wiederaufnahme des Falls würde die Nationalisten ermuntern, noch mehr Konzessionen zu fordern, glaubt Maginnis.

Murice Tugwell, damaliger Pressesprecher der Armee, kann sich dagegen noch gut an seine Worte am „Bloody Sunday“ erinnern. Er gab vorgestern zu, daß er damals nicht die Wahrheit gesagt hatte, als er behauptete, vier der getöteten Demonstranten seien bewaffnet gewesen. Ralf Sotscheck