Rot-Grün am Horizont

■ Berliner Grüne beschließen Reformpapier als Grundlage für weitere Gespräche mit SPD

Berlin (taz) – Der Parteitag der Berliner Grünen hat am Wochenende ein umfangreiches Reformprogramm verabschiedet, das die Grundlage für Gespräche mit der SPD über ein rot-grünes Bündnis in der Hauptstadt legen soll.

Damit treffen die Grünen die Stimmungslage weiter Teile der Berliner SPD. Nach sieben Jahren Großer Koalition, die die Züge einer chronischen Ehekrise trägt und deren Markenzeichen politischer Stillstand ist, sendet die SPD unverhohlen rot-grüne Signale aus. Im November schon hatte sich SPD-Fraktionschef Klaus Böger für ein rot-grünes Bündnis nach den Berliner Wahlen 1999 ausgesprochen – zweifellos eine lokale Besonderheit, daß sich ein Koalitionspartner in der Mitte einer Legislaturperiode offen einen anderen Regierungspartner wünscht. Die jetzt von den Grünen geforderten vorgezogenen Neuwahlen lehnt die SPD jedoch ab.

Meinungsforscher machen derzeit eine knappe rot-grüne Mehrheit in Berlin aus. Eine Forsa-Umfrage vom Dezember ergab für die Grünen einen Spitzenwert von 20 Prozent (Wahlergebnis 1995: 13,2 Prozent). Die SPD läge mit 29 Prozent knapp vor der CDU, die 28 Prozent erzielen würde. 12 Prozent würden die PDS wählen.

Den Sozialdemokraten ist jedoch bewußt, daß die Stimmung für einen rot-grünen Wechsel erst geschaffen werden muß. Dazu beigetragen haben sie bislang noch nichts. Mit ihrem Reformpapier haben die Grünen nun eine Vorlage gegeben. Auf dieser Grundlage sollen in öffentlichen Diskussionsforen mit SPD-Politikern rot- grüne Gemeinsamkeiten ausgelotet werden.

Größere Zumutungen für den gewünschten Koalitionspartner enthält die Liste der „drängendsten Reformprojekte“ nicht. Mit Blick für das finanzpolitisch Machbare haben die Grünen überwiegend altbekannte Vorschläge gebündelt – dazu gehört die Stärkung des Öffentlichen Nahverkehrs sowie der verstärkte Einsatz von Solarenergie. In der Arbeitsmarktpolitik fordern die Grünen eine Neuauflage eines Bündnis für Arbeit und eine Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst. Daß sich Berliner Grüne für mehr Polizeipräsenz auf der Straße aussprechen, wäre vor Jahren noch undenkbar gewesen. Dieser Punkt wurde auch nur mit knapper Mehrheit angenommen. Mit Law-and-order-Parolen hat dies nichts gemein: Nach den Vorstellungen der Grünen sollen Polizisten sich durch „ein ziviles Auftreten“ auszeichnen und als „Partner der Bürger“ agieren. „Die Polizei muß weiblicher, multikultureller und intelligenter werden.“ Eine Aufbruchstimmung kam beim Parteitag nicht auf. Schließlich zog sich die Debatte um das Reformpapier über ein Jahr hin. Die SPD ist auch nicht gerade eine Traumpartnerin. Grünen-Parteisprecherin Birgit Daiber stellte fest: „Die SPD ist eine Schnarchpartei und so stur machtversessen, daß es keinerlei Vergnügen bereitet, sich mit ihr eine rot-grüne Koalition vorzustellen.“ Dorothee Winden