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Nur die Völkerkunde harrt aus

Der Museumsstandort Dahlem sucht nach neuem Konzept. Doch nach dem Umzug der Gemäldegalerie schließen zunächst wegen Umbaus noch weitere Museen  ■ Von Katrin Bettina Müller

Besucher schimpfen und wollen ihr Eintrittsgeld zurück. Die Schilder, die vor der Museumskasse in Dahlem über den Auszug der Gemäldegalerie informieren, übersehen Touristen aus Japan, Kanada oder Dortmund noch oft. „Kein Wunder, daß sie sauer sind, wenn nicht nur überholte Informationen im Reiseführer stehen, sondern selbst der Informationsdienst der Stadt sie noch falsch schickt“, versteht der Beamte am Informationsschalter des Museums ihren Ärger.

Nicht alle, die sich auf Renaissance und Rembrandt freuten, sind mit dem Trost zufrieden, in Dahlem noch immer die Wahl zwischen vier Museen zu haben: für Völkerkunde, Islamische, Indische und Ostasiatische Kunst. Denn der Glanz, den diese Konzentration außereuropäischer Kulturen unter einem Dach einstmals ausstrahlte, ist inzwischen unübersehbar verblichen.

Über 60 Prozent der Dahlemer Besucher kamen in der letzten Zeit wegen der Gemäldegalerie, wie eine Studie des Instituts für Museumskunde von 1995 belegt. An zweiter Stelle rangierte das Völkerkundemuseum; fast jeder zweite Besucher, der sich in der Gemäldegalerie sattgesehen hatte, riskierte noch einen Blick auf die Kulturen der Südsee, Südamerikas oder Chinas. Nur knapp 15 Prozent der Besucher steuerten jeweils ganz gezielt die Sammlungen ostasiatischer, indischer und islamischer Kunst an.

Doch nicht nur der Auszug der europäischen Künste verlangt dem Museumsstandort Dahlem jetzt neue Anstrengungen ab. Schon die Konkurrenz der Museumsinsel hatte die Besucherzahlen kontinuierlich sinken lassen: Kamen 1993 noch 291.000, so waren es 1996 nur noch 164.000. „Langfristig ist dieser Besucherschwund noch viel dramatischer“, befürchtet Klaus Helfrich, der bereits seit 1985 als Direktor das Museum für Völkerkunde leitet.

Dabei zehrt man noch von dem früher international guten Ruf der Museen. Jener beruhte nicht nur auf dem Umfang der Sammlungen, die in vielen wissenschaftlichen Expeditionen seit der Zeit Alexander von Humboldts zusammengetragen worden waren, sondern auch auf der dramatischen Inszenierung. „Aber mittlerweile sind 30 Jahre vergangen, die Ausstellungen sind, salopp gesagt, abgelutscht.“ Die Präsentationen wirken erstarrt und angestaubt: Sie entsprechen weder dem Aktionshunger des Publikums, noch lassen sie eine tatsächliche Aktualisierung der Fragen an die fremden Kulturen zu. Ähnliche Probleme wie das Völkerkundemuseum beschäftigen auch die anderen Dahlemer Museen schon lange. Gegen rauschende Klimaanlagen, staubanfällige Vitrinen und unpraktisches Licht, die einen viel zu großen Personalaufwand erfordern, möchte Marianne Yaldiz, Direktorin des Museums für Indische Kunst, genauso vorgehen wie gegen die Dunkelheit in den Räumen ihres Museums. Das Ostasiatische Museum will sich erweitern und zu diesem Zweck die Räume der Islamischen Kunst beziehen, die dann ins Pergamonmuseum gebracht wird.

Tatsächlich liegt seit 1987 ein Plan für Umbau, Erweiterung und Neukonzeption der außereuropäischen Kunstmuseen und der Völkerkunde vor. Doch mit der Wende verschoben sich die Prioritäten, denn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mußte nun ihre Kraft und Baumittel auf die Wiederherstellung der Museumsinsel konzentrieren. Dahlem geriet aus dem Blick und aus der Diskussion. Den oft geplanten und immer wieder verschobenen Auszug von Skulpturen- und Gemäldegalerie in die Innenstadt versuchen die in Dahlem Gebliebenen daher auch tapfer weniger als Bedeutungsverlust zu sehen denn als Chance, endlich, endlich wieder zeigen zu können, was in ihnen steckt. Doch um in der Konkurrenz mit den anderen Museumsstandorten wieder aufzuholen, müssen sie erst noch durch eine Durststrecke der Überarbeitung.

Das verlangt einen langen Atem: Mit zehn bis zwölf Jahren Bauzeit wird gerechnet. Noch ist nicht entschieden, ob die Planung, an der die Museen zusammen mit dem Architekturbüro Helge Sypereck arbeiten, in vollem Umfang realisiert werden kann. Sie sieht im Zentrum des Dahlemer Komplexes eine zweigeschossige Halle vor, die als Kunstforum für Werke aus Schwarzafrika, dem indianischen Amerika, Australien und Ozeanien dienen soll und ganz bewußt die bisherige Trennung in Kunst- und ethnologische Museen aufbrechen würde. Die geschätzten Kosten für Neubau und Umstrukturierung belaufen sich auf 300 Millionen.

Doch von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind bisher erst 75 Millionen als Mittel bereitgestellt, die zur Hälfte vom Bund, zur Hälfte vom Land Berlin getragen werden. Begonnen wird noch in diesem Jahr. Besondere Probleme bereitet der sogenannte Bauteil 1, der erst Anfang der siebziger Jahre als Neubau im Zentrum des Komplexes errichtet wurde und die Skulpturengalerie beherbergte. Kaum zu glauben ist der schnelle Verschleiß: Die Fassade zum Hof ist verrottet, die Doppelfenster sind blind geworden, die Fundamente haben sich gesenkt, Fugen verschoben, und Wassereinbruch droht durch die Flachdächer. „Das freut bei Ortsbesichtigungen immer die Kollegen von der Museumsinsel, daß es bei uns auch nicht besser aussieht“, kommentiert Helfrich.

Er bedauert, die Errichtung der großen Halle an dieser Stelle in seiner Amtszeit wohl kaum noch zu erleben. Nach Ansicht der Bauexperten sei eine Sanierung zwar genauso aufwendig wie Abriß und Neubau, doch weil die Mittel dafür noch nicht zur Verfügung stehen, ist die Entscheidung aufgeschoben und vorläufig nur ein Funktionserhalt vorgesehen.

Damit steuert Dahlem auf das nächste Provisorium zu. Wer die Museen ohne Baustelle erleben will, muß sich beeilen. Im Mai schließen die Hallen für Indische und Ostasiatische Kunst, deren Sammlungen während der Bauzeit in den ehemaligen Räumen der Gemäldegalerie zwischengelagert werden. Erst danach kann dort der Umbau für die Völkerkunde beginnen. Eine komplizierte Logistik beginnt, die jeden Raum verplant hat.

Die heikle Aufgabe, Dahlem auch während der Bauzeit als Museumsstandort am Leben zu erhalten, fällt der Völkerkunde zu. Mit zwei Sonderausstellungen (für sechs bis sieben Jahre) im provisorisch hergerichteten Bauteil 1 will man ab 1999 neue Zielgruppen gewinnen: mit Stücken afrikanischer Kunst aus der Sammlung des Museums, „der größten Afrika- Sammlung in Kontinentaleuropa“ und auch mit der Kultur der nordamerikanischen Indiander.

„Natürlich ist es schändlich, daß diese Sammlung seit Jahrzehnten im Keller liegt“, gibt Helfrich zu. Seit dreißig Jahren scheiterten alle Pläne, den fast ein Jahrhundert alten Bestand von zwanzigtausend Objekten der Indianer und Eskimos Nordamerikas in einer Ausstellung aufzubereiten, an dem immer wieder aufgeschobenen Auszug der Gemäldegalerie. Der Kurator, der die ersten Belegungspläne entwarf, ist längst in Pension.

Die Sonderausstellungen werden gleich erste Proben der neuen Konzeption der Völkerkunde liefern: Denn es soll nicht mehr nur, wie in der traditionellen Ethnologie, die vermeintlich reine Vergangenheit der indianischen Völker und Traditionen beschrieben werden, sondern auch von ihrer Gegenwart und der langen Geschichte ihrer Verdrängung und Erforschung erzählt werden.

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