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Die Universitäten sind billiger als ihr Ruf

Studie des Wissenschaftsrats nimmt den Unis Angst vor Kostentransparenz. Bislang aber weiß niemand, was Studienplätze sind und was sie kosten. Trotzdem redet jeder davon, daß die Stadt mindestens 85.000 braucht  ■ Von Ralph Bollmann

Seit Jahren sprechen Hochschulpolitiker nur über eine einzige Zahl. Einst Schreckgespenst, ist sie heute der letzte Rettungsanker: 85.000 Studienplätze soll es in Berlin künftig geben, so lautet die gesetzliche Vorgabe. Viel zuwenig für die StudentInnen, sagen die einen, viel zuviel für die Finanzen, sagen die anderen.

Was aber ist ein Studienplatz?

Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) rechnet gerne vor, die Studienbedingungen in Berlin seien noch vergleichsweise rosig, weil es sich 1,4 Studierende auf einem „ausfinanzierten“ Studienplatz bequem machen könnten, während sich in Westdeutschland zwei Studierende darauf drängelten. Dabei unterschlägt der Senator aber, daß die Zahlen überhaupt nicht vergleichbar sind – weil sie nach verschiedenen Methoden berechnet werden. Die meisten Bundesländer rechnen „flächenbezogen“. Die Statistiker addieren einfach die Hauptnutzfläche der Uni- Gebäude und dividieren sie durch einen mutmaßlichen Flächenbedarf, der in den Geisteswissenschaften etwa bei viereinhalb Quadratmetern je StudentIn liegt.

Berlins Hochschulen hingegen rechnen „personalbezogen“, mit der gleichen Methode also, die auch dem Numerus clausus (NC) zugrundeliegt. Die „Curricularnormwerte“ legen bundeseinheitlich fest, wieviel Erstsemester ein Studiengang bei einer gegebenen Lehrkapazität aufnehmen kann. Das sind in einem wenig betreuungsintensiven Fach wie Jura beispielsweise über sechsmal mehr als in Medizin. Um die Zahl der Studienplätze insgesamt zu berechnen, multiplizieren die Statistiker diese Studienanfängerzahl einfach mit der Regelstudienzeit.

Doch verlassen nur wenige die Uni schon nach neun Semestern. Die meisten „LangzeitstudentInnen“ sind aber in Wahrheit TeilzeitstudentInnen, die insgesamt nicht mehr Lehrveranstaltungen besuchen als Expreß-AbsolventInnen. Deshalb hat das vermeintliche Mißverhältnis von tatsächlich Studierenden zu Studienplätzen keine Auswirkungen auf die Studienbedingungen. Es ist daher kein brauchbarer Indikator für die Überlast, auch wenn gern das Gegenteil behauptet wird. Statt dessen sind die katastrophalen Studienbedingungen bereits in die vermeintlich „ausfinanzierten“ Studienplätze eingerechnet. Die Normwerte gehen von einer „erschöpfenden Nutzung“ der Kapazitäten aus, die im Schnitt um 25 Prozent über der „Normalauslastung“ liegt. In Fächern wie Jura sind anonyme Massenvorlesungen bereits Berechnungsgrundlage.

Auf Grundlage welcher Zahlen man berechnen müßte, ist unklar. „Jeder sucht sich die Zahlen heraus, die ihm in den Kram passen“, klagt Michael Leszczensky vom Hochschul-Informationssystem (HIS) in Hannover. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) bevorzugt die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Sie suggerieren: Berlins Studienplätze sind zu teuer. Im Jahr 1994 gab das Land für jeden Studenten fast 18.000 Mark aus, während es in den westdeutschen Flächenländern nur knapp 13.000 Mark waren. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl lagen die Hochschulausgaben gar um mehr als das doppelte über dem Bundesdurchschnitt, im Verhältnis zur mageren Wirtschaftskraft nehmen sie sich noch üppiger aus.

„Wir machen's uns relativ einfach“, gestehen die Wiesbadener Statistiker aber selbst ein. Sie haben kurzerhand die Summe der Landeszuschüsse an die Hochschulen durch die Zahl der eingeschriebenen StudentInnen geteilt. Besonderheiten in der Fächerstruktur bleiben dabei unberücksichtigt. So sind teure Studiengänge wie Medizin oder Ingenieurwissenschaften in Berlin besonders stark vertreten.

Auf der Grundlage dieser Zahlen indes formulierte das Abgeordnetenhaus im Haushaltsstrukturgesetz 1993 den Auftrag, die Studienplatzkosten in Berlin auf Bundesdurchschnitt zu senken. Dafür fehlten freilich die Daten, mit deren Beschaffung es Unis wie Wissenschaftsverwaltung nicht eilig hatten.

Doch eine Studie des Wissenschaftsrats nahm den Unis im vorigen Jahr ihre Furcht. Im Kostenvergleich von sechs Studiengängen mit zehn anderen deutschen Hochschulen bewegte sich die Technische Universität (TU) am unteren Rand des Spektrums – mit 22.000 Mark in Elektrotechnik, 10.000 Mark in Mathematik und 26.000 Mark in Physik pro Studienplatz und Jahr. In Psychologie und Wirtschaftswissenschaften bot die TU mit knapp 7.000 und gut 3.000 Mark sogar die billigsten Studienplätze.

Es scheint, als hätten diese Resultate den Unis Mut zu mehr Kostentransparenz eingeflößt. Das lange Warten der Abgeordneten soll bald ein Ende haben: Im März soll ein „Ausstattungsvergleich“ der HIS-Forscher auf dem Tisch liegen, an dessen Finanzierung sich die Hochschulen sogar beteiligt haben. Die Daten seien erhoben, versichert Projektleiter Michael Leszczensky, „Beschreibung und Interpretation“ befänden sich aber „noch in der Diskussion“.

Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) gibt schon im Voraus Entwarnung. Seine Sprecherin prophezeit, die Hoffnung der Finanzsenatorin auf weitere „Rationalisierungsreserven“ werde sich „nicht bestätigen“. Gleichwohl eröffneten die Zahlen „die Möglichkeit, durch Mittelumschichtungen zusätzliche Studienplätze zu schaffen“, in die Debatte um die künftige Uni-Struktur müßten die Kosten „Eingang finden“. Das heißt im Klartext: Notfalls geht es teuren und zudem kaum nachgefragten Studiengängen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften an den Kragen, damit in „billigen“ Fächern zusätzliche Studienplätze entstehen können.

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