piwik no script img

Jetzt rufen Krankenkassen den Gerichtsvollzieher

■ Schon wer die erste Jahresrate des Krankenhaus-Notopfers nicht zahlt, muß mit einem Mahnbescheid rechnen. Der DGB plant, alle 69 Sozialgerichte mit Klagen zu überziehen

Berlin (taz) – Bei den gesetzlichen Krankenkassen ist die Zeit der verständnisvollen Worte vorbei. Den Verweigerern des Krankenhaus-Notopfers drohen in den kommenden Wochen kostenpflichtige Mahnbescheide. „Wir wollen die Nichtzahler der 20 Mark nicht laufenlassen“, erklärt Rolf Mentzel von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK). Vor einigen Wochen hatte die DAK noch beteuert, säumige Notopfer-Zahler erst ab einem aufgelaufenen Betrag von 50 Mark in ein Mahnverfahren zu verwickeln. Nun sollen auch diejenigen bereits zur Kasse gebeten werden, die die erste Jahresrate nicht überweisen. Ähnlich rigoros wollen auch die Barmer und die Techniker-Krankenkassen vorgehen.

Die gesetzlichen Kassen sind seit vergangenem Dezember verpflichtet, von ihren Mitglidern für drei Jahre jeweils einen Betrag von 20 Mark einzufordern – zur Instandhaltung der Krankenhäuser. Freiwillig gezahlt haben je nach Kasse bislang etwa die Hälfte aller Mitglieder. Gegen das Sonderopfer protestierten vor allem die Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will sämtliche 69 Sozialgerichte Deutschlands mit Klagen gegen die Abgabe zu überziehen. Bislang liegen zwei Klagen vor. Beim Sozialgericht Dortmund klagte kürzlich ein freiwillig versicherter Gewerkschaftssekretär. Er fühlt sich gegenüber Privatpatienten benachteiligt. Die Privatkassen überweisen für ihre Versicherten die Zahlungen. Zwar erhöhten sie ihre Beiträge zum Jahresanfang und begründen dies auch mit dem Notopfer. Doch im Gegensatz zu den gesetzlich Versicherten zahlt der Arbeitgeber bei Privatversicherten die Hälfte des Krankenkassenbeitrags. Mithin übernehme er auch einen Anteil am Notopfer, argumentiert der Gewerkschaftssekretär. Eine ähnlich begründete Klage reichte auch ein Mitglied der Betriebskrankenkasse des Flugzeugbauers Dasa in Lüneburg ein. Bis das Sozialgericht darüber entschieden hat, will die Kasse das Notopfer nicht eintreiben.

Diese Kulanz meinen sich die Ersatzkassen nicht leisten zu können. Die DAK sei nicht bereit, Etatlöcher hinzunehmen, sagt Vorstandsmitglied Eckhard Bloch. In der Bundeshaushaltsordnung fand der Jurist eine Passage, die es erlaubt, auch Beträge unter 50 Mark vollstrecken zu lassen.

Vor einigen Wochen beteuerten alle Kassen noch vollmundig, die Sache mit der Eintreibung des Notopfers nicht recht angehen zu wollen. Nie zuvor sei es die Aufgabe der Krankenkassen gewesen, sich um die Instandhaltung der Krankenhäuser zu kümmern, vielmehr sei es Sache der Länder. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) habe ihnen diese Aufgabe grundlos übergestülpt. Eine Handhabe gegen Seehofers Gesetz fanden die Kassen jedoch nicht. Nun vergleicht selbst DAK-Sprecher Mentzel das Notopfer mit einem harmlosen Bußgeld: „Das müssen wir ja auch zahlen.“

Udo Barske vom Bundesverband der AOK hingegen verspricht, daß die AOK säumigen Zahlern in diesem Jahr nicht auf die Pelle rückt. „Zivilisiert“ wolle die AOK mit ihren Mitgliedern umgehen. Allerdings: Von den 21 Millionen Beitragszahlern haben bislang nur 60 Prozent gezahlt. Eintreiben wird die AOK das Geld früher oder später aber auch.

Die 3.000 Gerichtsvollzieher fürchten, demnächst in einer Flut von Vollstreckungsbescheiden zu ertrinken. Eduard Beischall, Vorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieherbundes, rechnet vor, daß ein Mahnbescheid über 20 Mark am Ende des Verfahrens insgesamt 101 Mark kosten wird. Ein teurer Spaß für alle, welche die Sonderzahlung verweigern. Dementsprechend ruft kaum mehr ein Verband zum Boykott des Notopfers auf. Zahlen und abwarten, heißt die Devise. Befinden die Gerichte das Notopfer für rechtswidrig, müssen die Kassen das Geld ohnehin zurückzahlen. Annette Rogalla

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen