piwik no script img

Wie feige Bürger zu mutigen Mannen werden

■ Hamburger Polizei startet Kampagne für Zivilcourage: „Wer nichts tut, macht mit.“

Eine Frau brüllt nach Leibeskräften. Der Mann auf der Parkbank ist furchtbar erschrocken. Dann rennt er wie von der Tarantel gestochen los. In seiner Wohnung angekommen, atmet er auf. Er fährt sich über die Stirn, besieht sich seine Hände. Blut klebt daran.

Wer die Botschaft bis dahin noch immer nicht begriffen hat, dem wird durch den eingeblendeten Slogan „Wer nichts tut, macht mit“auf die Sprünge geholfen. Zu sehen ist dieser 45sekündige Feigling-Spot ab heute in Fernsehen und Kinos. Er ist Teil einer von der Werbeagentur „Springer und Jacoby“entworfenen Polizeikampagne für Zivilcourage, die gestern in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs unter Mithilfe von Tagesschausprecher Jo Brauner vorgestellt wurde.

Neben der filmischen Zurschaustellung männlichen Wegrennens und weiblichem Opferseins werden in den nächsten vier Wochen zudem Plakate mit Aufschriften wie „Am Montag wurde hier eine Frau von sechs Männern belästigt. Fünf davon haben dabei Zeitung gelesen“geklebt. Auch den Schauspielschülern der Gruppe „Stage School of Dance“, die während der Präsentation „Spielszenen“aufführten, fiel zum Thema nichts anderes ein als männlicher-Täter-überfällt-weibliches-Opfer.

Die Kampagne sei „als Provokation angelegt“, erläutert der stolze Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) das Konzept. „Öffentliche Sicherheit ist nicht nur Aufgabe der Polizei.“Die Hamburger Polizei wolle antreten gegen die „Wegseh-, Weghör- und Weggehgesellschaft“, ergänzt Polizeipräsident Ernst Uhrlau. Denn „eine Zivilgesellschaft ohne ein Mindestmaß an Zivilcourage gibt es nicht“.

Die Kampagne setzt aber nicht beim Sich-Einmischen an, etwa bei Pöbeleien oder verbaler Anmache, sondern dort, wo Polizeiarbeit durch unterlassene Hilfeleistung von Passanten schwierig wird; wenn bei einer Gewalttat niemand einen Streifenwagen benachrichtigt oder sich als Zeuge meldet.

„Wir rufen nicht zu falschem Heldentum auf“, beteuert Wrocklage. Der Feigling-Spot und die Plakate sprechen allerdings nur Negativverhalten an. Wie der beherzte Bürger zum brauchbaren Freund und Helfer der Ordnungshüter werden kann, wird auf „Check-Karten“nachgereicht, die von Polizisten verteilt werden sollen. Dort ist aufgeführt, was der ideale Zeuge zu tun hat. Nämlich am besten alles gleichzeitig: dem Opfer helfen, die Polizei anrufen, sich den Täter merken, andere zur Mithilfe auffordern. Obendrein soll er sich selber nicht in Gefahr bringen.

Polizeipräsident Uhrlau hält die Kampagne für die mutigste, die Hamburgs Polizei je in Angriff genommen hat. Silke Mertins

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen