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„Vielleicht das nächste Mal“

■ Andere Sorgen, keine Zeit und Hoffnungslosigkeit - viele Arbeitslose sehen in organisierten Arbeitslosenprotesten keinen Sinn. Eine Massenbewegung wie in Frankreich erwartet anläßlich der heutigen Demonstratio

Ja, die Sache sei eigentlich schon richtig. Aber dabeisein, nein, das wird Eberhard Maier nicht. „Ich bin ein zurückhaltender Bürger.“ Angesichts der Tatsache, daß der 32jährige Kaufmann bereits seit drei Jahren arbeitslos ist, könnte man darüber erstaunt sein. Auf jeden Fall aber wird die heutige Demonstration der Arbeitsloseninitiative vor dem Arbeitsamt in Kreuzberg ohne ihn stattfinden.

Die Sache an sich finden eigentlich die meisten richtig . „Man muß sich ja schließlich wehren“, meint Harald Winter. Er ist sechzig Jahre alt und seit Mitte vergangenen Jahres arbeitslos. Über seine Situation macht er sich keine Illusionen: „Ich bin zu alt, meine Knochen sind kaputt. Bei der hohen Zahl an Arbeitslosen habe ich sowieso keine Chance.“ Dabeisein wird er trotzdem, denn Solidarität sei wichtig.

Doch mit der Solidarität sei das eben so eine Sache, meint Stefan Janda (31), abgesehen von kleineren Unterbrechungen seit knapp sieben Jahren arbeitslos: „Es müssen nicht nur die Menschen demonstrieren, die ohnehin politisch aktiv sind, sondern alle, die mit dem Arsch im Sumpf stecken. Die Masse macht's!“

Daß es heute einen Massenauflauf geben wird, glaubt nicht einmal der Arbeitslosenverband, Veranstalter der Demonstration. Aber man hoffe schon auf mehr als ein paar hundert. Wesentlich skeptischer äußert sich der 41 Jahre alte Karl Scheimann, seit kurzem ohne Arbeit: „Vielleicht kommen 120 bis 200 Leute. Das reicht nicht, um etwas zu bewegen. Aber es ist ja erst der Anfang. Vielleicht entwickelt sich daraus doch noch mehr.“

Mit einer Massenbewegung wie in Frankreich rechnet indes niemand. „Die Leute in Deutschland sind nicht so drauf. Denen geht es noch zu gut. Hier bewegt sich erst was, wenn die Zahl der Arbeitslosen auf 15 Millionen steigt.“ Claudio H. (23), seit August arbeitslos gemeldet, wartet auf einen Studienplatz. Berufswunsch: Architekt. Beschäftigungschancen: Schlecht. Kommen wird er dennoch nicht: „Keine Zeit“, sagt er lapidar.

Madeleine Zeidler (41) hat ebenfalls keine Zeit. Momentan habe sie andere Probleme: „Ich weiß nicht, wie ich mit der Stütze über die Runden kommen soll. Im Moment hungere ich.“ Glaubt sie, daß man durch Demonstrationen etwas erreichen kann? Sie lacht verbittert. „In meiner Situation glaube ich an gar nichts mehr.“

Auch Sonja Schneider (31) hat auf eine Demo vor dem Arbeitsamt „keinen Bock“. Sie hält den Ort der Demonstration für falsch gewählt. „Die Leute beim Arbeitsamt erfüllen ihren Job. Man sollte bei denen protestieren, die für die Misere verantwortlich sind. Man sollte lieber den Politikern aufs Dach steigen.“ Weshalb auch sie nicht teilnehmen wird, obwohl sie die Sache grundsätzlich unterstützt. Wenn es die Demonstrationen schaffen, die Arbeitslosen zu solidarisieren, schätze sie das als sehr wichtig ein. Ob sie dazu heute nicht aktiv beitragen wolle? „Vielleicht das nächste Mal.“ Peter Kasza

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