: Höhenwind hält Ariane am Boden von Guayana
Mehrfach mußte der Start der Trägerrakete verschoben werden. Bei den Anwohnern geht die Angst um ■ Aus Kourou Dorothea Hahn
In den Lüften über der europäischen Raumfahrtstation am Nordrand Südamerikas pfeift seit Tagen ein scharfer Wind. Dazu einer, der in die falsche Richtung geht. Mit 45 Stundenkilometern drückt er vom Atlantik auf den Kontinent. Am Boden, an der Startrampe der Ariane-Trägerraketen in Kourou, ist die Luft feuchtheiß. Kein Windhauch ist zu spüren. Aber die Raumfahrtexperten ziehen lange Gesichter. Viermal schon mußten sie den Abschuß von Flug Nummer 105 seit Freitag verschieben. Ob sie gestern abend starten konnten, stand bei Redaktionsschluß nicht fest.
Die Teufelsinsel und zwei weitere ehemalige Gefängnisinseln, die in der Flugschneise liegen, sind seit vergangenem Freitag evakuiert. Wie vor jedem Raketenstart wurden die Hotelchefin, die Gärtner und die mit Shorts bekleideten französischen Gendarme ans Festland gebracht. Die Straßen im 12-Kilometer-Radius um die Startrampe der Ariane-4-Rakete sind gesperrt. Französische Fremdenlegionäre haben in den Mangroven Position bezogen. Die Feuerwehr ist im Alarmzustand.
Normalerweise ist ein Ariane- Start ein kurzes, aber heftiges Ereignis. Die örtlichen Radiosender geben den Termin bekannt. Noch Dutzende Kilometer entfernt versammeln sich Menschen auf Aussichtsplätzen. Auf den Beobachtungsstationen direkt an der Startrampe verhilft jede Ariane ein paar geladenen Gästen zu 90 tosend lauten und dann feuerhell erleuchteten Sekunden.
Doch dieses Mal sind die bereits am Freitag angereisten Gäste schon wieder verschwunden. In der 30jährigen Geschichte der europäischen Raumfahrt ist so etwas noch nicht vorgekommen. Die Bedingungen in Guayana, wohin die Raumfahrtstation in den frühen 60er Jahren aus dem unabhängig gewordenen Algerien verlagert wurde, galten als „ideal“. Das zwischen Brasilien und Surinam gelegene französische Departement bot nicht nur politische Stabilität und relativen Wohlstand der damals nur 40.000 Menschen kleinen Bevölkerung. Es lag auch noch günstig. Nur 5 Grad vom Äquator entfernt, ohne Zyklone und direkt vor einer auf Tausende Kilometer unbewohnten nordöstlichen Flugschneise über dem Atlantik. Mehrtägige Verzögerungen beim Abschuß der Ariane-Raketen gab es denn bislang allenfalls, weil das guayanische Personal in den Streik getreten war oder weil die Satelliten, die in die Umlaufbahn transportiert werden sollten, noch nicht fertig waren.
Der starke Wind in der Höhe von 10.000 bis 12.000 Metern war früher kein Thema. Die Meteorologen sprechen erst seit einigen Monaten davon. Die Ursache für die Winde ist unklar. Mario Delepine, einer der Sprecher des Unternehmens „Arianespace“, drückt sich vorsichtig aus: „Es könnte sein, daß El Niño das ausgelöst hat“, sagt er. Bei dem technischen Personal der Raumfahrtstation kursiert die El-Niño-Hypothese schon seit Monaten.
Jeder Tag Verzögerung beim Abschuß von Flug Nummer 105 kostet die europäische Raumfahrt rund 1 Million Franc (etwa 300.000 DM). Dabei sind die vertraglich vereinbarten Entschädigungszahlungen an die Kunden noch gar nicht mitgerechnet. Dieses Mal sind das der brasilianische „Ebratel“, für den die Trägerrakete einen Fernseh- und Kommunikationsatelliten in die Umlaufbahn transportieren soll, und der internationale „Inmarsat“, der die Ariane mit einem Seefahrts- und Telekommunikationssatelliten beladen hat.
Wenn die Verspätung noch länger dauert, gerät der komplette europäische Raumfahrtfahrplan durcheinander. 18 Arbeitstage sind nötig, um die Startrampen für die nächste Trägerrakete vorzubereiten. Die 60 Meter hohe Ariane mit der Flugnummer 106, die eigentlich am 27. Februar abgeschossen werden soll, ist bereits fertig montiert. Im Sommer ist außerdem der dritte Start einer Ariane-5 geplant, jener Hochleistungsrakete, die das jetzige Modell ablösen und noch größere Satelliten befördern soll.
Mit der Ariane-5 sind die Höhenwinde überhaupt erst zum Thema geworden. Als die erste Ariane-5 im Juni 1996 gleich nach dem Start über dem Meer explodierte, trieb anschließend der Wind die ätzenden und beißenden Gase ihres Treibstoffgemischs auf das Land zurück. Die Bewohner von Sinnamary und Kourou bekamen Nasenkratzen, tränende Augen und erstmals eine furchtbare Angst vor den Raketen.
Danach erst verfaßte das Raumfahrtzentrum eine Informationsbroschüre, die es in den beiden Nachbarorten verteilte. Wenn eine Rakete explodiert, solle man in „geschlossenen Räumen“ bleiben, empfiehlt es darin den Anwohnern, die in Häusern leben, wo überall der Wind durchweht.
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