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„Hauptstadt“ auf dem amerikanischen Prüfstand

■ Die US-Amerikaner und Berlin: Die Universität Harvard veranstaltet am Wochenende eine internationale Konferenz zur Umgestaltung Berlins zu einer nationalen Hauptstadt

Vor zwei Jahren hat sich Berlin in Paris gründlich blamiert. Eine im imposanten Bau der „Grande Arche“ im Beisein des Bundespräsidenten Roman Herzog präsentierte Schau mit dem Titel „Berlin – une capitale en perspectives“ (Berlin – eine Hauptstadt mit Perspektiven) bot statt großer Architektur vor allem preußische Hausmannskost.

Gezeigt wurden Modelle der Kläranlage Waßmannsdorf, des Heizkraftwerks Mitte in der Köpenicker Straße und des neuen Krematoriums in Treptow. Nur ein Ausrutscher oder eben doch auch Hinweis für die provinzielle Borniertheit eines städtebaulichen Experiments, von dem immerhin gerne behauptet wird, daß es einzigartig sei am Ausgang des 20. Jahrhunderts?

Von heute bis Sonntag haben die Akteure der Berliner Stadtentwicklung Gelegenheit, die Pariser Scharte auszuwetzen. Unter dem ambitionierten Titel „Berlin – Der Bau einer nationalen Hauptstadt am Ende des 20. Jahrhunderts“ veranstalten das Minda de Gunzburg Center for European Studies und die Bostoner Harvard-Universität eine Konferenz, bei der über zweierlei geredet werden wird: den Umbau Berlins aus der Sicht seiner Akteure und die Wahrnehmung eben jenes Umbaus aus der transatlantischen Perspektive.

Kontroversen, Mißverständnisse und Peinlichkeiten sind damit programmiert. Das betrifft nicht nur die Kluft zwischen dem Selbstbild der neuen deutschen Hauptstadt (Stadtentwicklungssenator Strieder: „erste Geige im Konzert der Weltstädte“) und der ganz anderen Wahrnehmung Berlins im Ausland, die die britische Tageszeitung The Guardian mit der bösen Wortschöpfung der „Knobelbecherarchitektur“ auf die Spitze getrieben hatte.

Auch der Bau einer nationalen Kapitale selbst wird von den US- Amerikanern – zumindest akademisch – in Frage gestellt. „A Capital City – An Anachronism in the 21st Century?“ lautet das Motto einer Podiumsdebatte zum Abschluß des Kongresses, an dem neben dem Direktor des Minda de Gunzburg Centers, Charles Mayer, auch der Berliner Kanzleramtsarchitekt Axel Schultes und der Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main, Wilfried Wang, teilnehmen werden.

Zuvor diskutieren unter anderem Dieter Hoffmann-Axthelm und die Senatsbaudirektorin Barbara Jakubeit mit amerikanischen Historikern über die historische Legitimität der deutschen Hauptstadt. Zum Thema „Weltstadt“ oder „Hauptstadt“ sprechen unter anderem der Historiker Michael S. Cullen, der Architekturkritiker Michael Mönninger oder die Bauhistorikerin Simone Hain. Der Aus- und Aufbau einer gemeinsamen Infrastruktur in der ehemals geteilten Stadt werden ebenso diskutiert wie das Thema Kulturhauptstadt oder die Stellung Berlins in Europa.

Ganz ohne Nachhilfeunterricht wird es aus der Sicht der Berliner Teilnehmer dabei nicht gehen. Zwar gilt das Millionendorf an der Spree in Fachkreisen seit dem Fall der Mauer – wie schon in den zwanziger Jahren – wieder als Metropole der internationalen Architekturdebatte. Doch nicht immer kommt jene Botschaft an, die man so gerne vermittelt sähe. So veröffentlichte zum Beispiel die Washington Post zeitgleich zu Christos Reichstagsverhüllung eine Karikatur, in der der Reichstag als verpacktes Hakenkreuz zu sehen war. Im entsprechenden Artikel stand ausführlich zu lesen, daß der Wallot-Bau jenes Gebäude war, von dem aus die Nazis regierten. „Gerade in den USA“, berichtet die Leiterin der Berliner Architekturwerkstatt, Bärbel Hoidn, „gibt es noch große Informationslücken über das städtebauliche Geschehen in Berlin.“

Inwieweit die Berliner Protagonisten dieses Geschehens auch Anlaß für Mißverständnisse und falsche Bilder geben – auch dafür wird die Konferenz in Boston Sinnbild sein. Gleichzeitig zur Konferenz findet in der Harvard- Universität eine Ausstellung zum Berliner Hauptstadt-Geschehen statt. Der Titel: „Von Europas größter Baustelle zur Hauptstadt des 21. Jahrhunderts“. Unter der Leitung von DAM-Direktor Wilfried Wang wird dort – anders als in der Grande Arche in Paris – eher geklotzt als gekleckert. Zu sehen sind nicht nur die Umbaupläne für den Reichstag, den Potsdamer Platz oder das künftige Regierungsviertel, sondern auch das Planwerk Innenstadt alias Masterplan oder die Hochhausträume von Hans Kollhoff für den Alexanderplatz. Droht nach der Pariser Provinzgeste nun wieder Altbekanntes – die Berliner Großmannssucht in Fortsetzung der Wachstumseuphorien der Nachkriegszeit?

Wie sehr die Frage, wie Berlin in der Welt und die Welt in Berlin ist, einer nicht nur städtebaulichen, sondern auch historischen Gratwanderung gleicht, zeigt sich nicht zuletzt in einem weiteren Programmpunkt der Konferenz, einem Vortrag des Architekturtheoretikers Iain Boyd Whyte zur Frage der Historizität und Aktualität der Umbaupläne der Nazis für Berlin zur Reichshauptstadt „Germania“.

Man darf also gespannt sein, ob und wie sich die Berliner Akteure auf dem internationalen Parkett, oder besser Glatteis, bewegen und ob sie den Ratschlag des Präsidenten der Akademie der Künste beherzigen. „Liebe Berliner“, rief György Konrad den Teilnehmern bei der Eröffnung des Debis-Gebäudes entgegen, „ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Navigation zwischen der Skylla des Selbstmitleids und der Charybdis der Überheblichkeit“. Uwe Rada

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