Zwischen den Rillen: Last Exit Sarajevo
■ Postnationaler Gipfel auf dem Balkan: Sezen Aksu singt Goran Bregovic
Der Vater Kroate, die Mutter Serbin und die Ehefrau Muslimin: Goran Bregovics Biographie spiegelt die multiethnische Realität des Vorkriegsjugoslawien wieder. Vom Leib-und- Magen-Komponisten des bosnischen Regisseurs Emir Kusturica stammt die Musik zu praktisch all dessen letzten Filmen, von „Time of the Gypsies“ über „Arizona Dream“ bis, zuletzt, zum umstrittenen „Underground“. Emir Kusturicas opulenter Kriegsgroteske wurde bekanntlich seitens französischer Intellektueller vorgeworfen, die Schuldfrage des Bosnienkriegs auszuklammern, sich damit letztlich auf die Seite der serbisch-jugoslawischen Kriegstreiber zu schlagen.
Auch Bregovic wurde in den Disput um „Underground“ hineingezogen – den Streifen kann man sich nur schwerlich ohne dessen wild-besoffenen Balkanblaskapellensound vorstellen. Doch geschadet hat die Kontroverse ihm nicht. Im französischen Exil stieg er zu einem begehrten Produzenten auf, mit dem auch eine Jane Birkin gern ins Studio ging, um eine herrlich beschwipste Version des Gainsbourg-Klassikers „Comment te dire Adieu“ einzuspielen. In der alten Heimat dagegen ist die Reaktion auf den einstigen Szeneziehsohn ambivalent: In Sarajevo nimmt man übel, daß Bregovic vor dem Krieg ins Ausland flüchtete, in Belgrad erklangen seine Stücke dagegen im letzten Jahr zu den Demonstrationen der Opposition.
Mutig von der türkischen Popmonarchin Sezen Aksu, sich vor diesem Hintergrund mit Bregovic-Liedern auf das rutschige Parkett des Balkans zu wagen. In den 80ern debütierte sie mit schwermütigem Pop, in den 90ern entzog sie sich dem Mainstream durch anspruchsvolle Konzeptalben. „Dügün ve Cenaze“ versammelt nun ausschließlich bereits existente Kompositionen des prominenten Bosniers – und klingt dabei so rund und in sich stimmig, als hätte er die Stücke eigens für sie geschrieben. Schon immer hatte Sezen Aksu ein glückliches Händchen, sich mit erstklassigen Musikern und Arrangeuren zu umgeben. Die künstlerische Liaison mit Bregovic behält den erreichten Standard bei, übertrifft gar die Qualität ihres letzten, weniger inspirierten Werks.
Kongenial interpretiert sie seine Lieder, verleiht den Vorlagen mit stets etwas belegter Stimme ihre persönliche Note, derweil sich Bregovics Bläserensemble im Hintergrund prächtig mit den orientalischen Streichern aus Istanbul vermählt. Einen dramaturgischen Bogen schlagend, steigert sich das Album vom getragenen türkischen Tango über die elegischen Zigeunerballaden aus „Time of the Gypsies“ zum wilden Kosakenritt des zynischen „Kalaschnikow“.
Ganz schön frech: Wenn Sezen Aksu im Schlußstück den Machospruch auf den Lippen führt von der Kalaschnikow, die „wie eine Jungfrau“ sei, dann klingt es wie ein sarkastischer Kommentar zum unseligen, in der Region weitverbreiteten Schußwaffenfimmel. Aber ist es auch so gemeint? Es läßt sich ja viel hineininterpretieren in Aksus Bregovic-Adaption. Titel wie der schleppende Trauermarsch aus dem Film „Die Bartholomäusnacht“, der vom Pogrom an den französischen Hugenotten handelt, oder jene Melodie, die Bregovic der griechischen Stadt Thessaloniki für deren Abschlußzeremonie als Kulturhauptstadt 1997 komponierte, sind von vornherein nicht arm an Symbolischem. Sezen Aksu aber spielt mit den Vorlagen, verleiht ihnen mit türkischen Texten neue Konnotationen, macht eine sehr persönliche Geschichte daraus: So singt sie, der in der Klatschpresse nicht wenige Affären nachgesagt werden, in dem Stück „Männer“ süffisant: „Allein zu sein steht Gott allein zu. Alleine schlafen? Unmöglich.“
Doch warum hat sich Sezen Aksu überhaupt diesem Stoff gewidmet, wenn sie ihn derart privatisiert? Die Hinwendung zum Balkan ist ein weiterer Akt ihres Projekts der Bewußtmachung der lang verdrängten Multikulturalität der modernen Türkei, in diesem Sinne eine Fortsetzung ihres anatolischen Kulturpanoramas „Ex Oriente Lux“. Das Potpourri der musikalischen Traditionen, die Bregovic und Aksu kreuzen, ist nicht beliebig postmodern, sondern eindeutig postnationalistisch. So ist „Dügün ve Cenaze“ persönlich geprägt und zugleich kosmopolitisch, mit Betonung auf der zweiten Hälfte des Wortes. Das musikalische Gipfeltreffen auf dem Balkan endet gerade nicht in universalistischem Versöhnungskitsch, weil hier keine Botschaft übers Knie gebrochen wird. Das nimmt der voraussehbaren Kritik an der Kollaboration viel Wind aus den Segeln.
Überhaupt wird auf „Dügün ve Cenaze“ kein fröhliches Fest der Völkerfreundschaft gefeiert, keineswegs. Ein Hauch von spätosmanischer Fin-de-siècle- Stimmung liegt in der Luft, eine dunkle Ahnung vom letzten Walzer auf dem glühenden Vulkan: Last Exit Sarajevo. Jugoslawien als Menetekel für die Türkei? Das Cover jedenfalls weist einen recht morbiden Touch auf, wie auch der Titel „Hochzeit und Beerdigung“. Ganz profan handelt es sich dabei um zwei zentrale Anlässe für musikalische Feiern, auf dem Balkan wie in der Türkei. Aber die Kunst der Andeutung liegt ja gerade darin, daß sie die mögliche Interpretation offen läßt. D.B.
Sezen Aksu: „Dügün ve Cenaze“ (Raks)
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