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Ein geplanter Angriff auf das Völkerrecht

Entgegen allen Behauptungen aus Washington gibt es derzeit keine rechtliche Grundlage für militärisches Vorgehen gegen den Irak. Doch von diesem Umstand will auch bei der UNO kaum noch jemand etwas wissen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

„Es gibt eine ausreichende Grundlage für militärische Maßnahmen gegen den Irak. Ein neuer Beschluß des UN-Sicherheitsrates ist nicht erforderlich.“ Seit Tagen wiederholen US-Präsident Bill Clinton und Mitglieder seiner Administration diese Behauptung. Doch worin diese Grundlage besteht, hat bisher niemand erläutert. Die Journalisten der großen US- Medien stecken derzeit zwar erhebliche Recherche-Energien in die Aufklärung von Clintons Sexualleben. Und sind dabei voller Mißtrauen gegen über den offiziellen Darstellungen des Weißen Hauses. Doch ob es für den nächsten Krieg ihres Landes, den Clinton möglicherweise bald anordnen wird, eine völkerrechtliche Grundlage gibt, ist für die US-Medien nicht einmal eine Nachfrage wert.

Damit würden sie die Clinton- Administration erheblich in Verlegenheit bringen. Denn die Grundlage existiert nicht. Ein militärischer Angriff gegen den Irak wäre ein völkerrechtswidriger Bruch der UN-Charta. Lediglich in seiner Resolution 678 vom 25. November 1990 erteilte der Sicherheitsrat unter Anwendung von Kapitel sieben der UN-Charta den UN-Mitgliedstaaten die Ermächtigung zur „Anwendung aller erforderlichen Mittel“ gegen Bagdad. Doch das ausschließliche Ziel dieser Resolution – der Abzug der irakischen Besatzungstruppen aus Kuwait – ist seit dem Goldkrieg erfüllt. Weder die Waffenstillstandsresolution 687 vom 1. März 1991, in der Bagdad zur Zerstörung seiner Massenvernichtungsmittel und Einstellung entsprechender Rüstungsprogramme verpflichtet wurde, noch irgendeine der anderem seitdem zum Irak beschlossenen Resolutionen enthalten eine Androhung militärischer Maßnahmen oder gar die Ermächtigung der UN-Staaten dazu. Doch lediglich vereinzelte Stimmen im US-Kongreß und in den Parlamenten einiger westlicher Verbündeter weisen auf diesen Umstand hin.

Großbritanninens Premierminister Tony Blair, der diese Frage bei seinem Treffen mit Clinton in den USA zumindest ansprechen wollte, ist – nach seinen dortigen Äußerungen zu urteilen – inzwischen voll auf den aus Washington vorgegebenen Kurs eingeschwenkt. Selbst die französische Regierung, deren Außenminister Hubert Vedrine gestern noch einmal die Ablehnung einer Militäraktion bekräftigte, hat bislang nicht auf das Fehlen der völkerrechtlichen Voraussetzung dafür hingewiesen.

Das blieb Rußlands Präsidenten Boris Jelzin überlassen, der auf einem Beschluß des Sicherheitsrates insistierte und für den Fall eines militäischen Alleinganges der USA und Großbritanniens seine Warnung vor einem „dritten Weltkrieg“ wiederholte. Die Nationalversammlung in Bagdad – Iraks Alibiparlament – schickte gestern eine Einladung an die Moskauer Duma. Russische Abgeordnete sollten anstatt von UN-Waffeninspekteuren den Beweis erbringen, daß Saddam Husseins angebliche Präsidentenpaläste keine Lager- und Werkstätten für Massenvernichtungsmittel sind. Doch nach Moskaus mehrfach fehlgeschlagenen Versuchen zur Vermittlung einer politischen Lösung des Konflikts haben russische Initiativen in westlichen Hauptstädten erheblich an Bedeutung verloren. In UNO- Kreisen wird sogar nicht ausgeschlossen, daß Moskau hinter dem Vorhang harter Rhetorik Washington längst ein stillschweigende Einverständnis zu einer Militäraktion gegen den Irak signalisiert hat.

Die gleiche Einschätzung gilt für Frankreich. Sie wird von US- Diplomaten gestützt, die bahupten, Außenministerin Madeleine Albright habe bei ihrer jüngsten Rundreise zu potentiellen Verbündeten für eine Militäraktion positivere Reaktionen erhalten, als bisherige Berichte vermuten lassen. Saudi-Arabien und andere arabische Staaten hätten zumindest ihr „Einverständnis“ bekundet.

Nach jüngsten Konsultationen mit der türkischen Regierung rechnen die USA zudem damit, daß Ankara entgegen bisheriger Erklärungen Luftwaffenbasen im Südosten des Landes als Angriffsbasis freigeben wird. Daran dürfte auch der Umstand nichts ändern, daß Saddam Hussein gestern demonstrativ den türkischen Außenminister Ismail Cem in Bagdad empfing. Denn auch Cem insistierte, die Türkei erwarte, daß sich die irakische Führung der Forderung nach Zerstörung ihrer Massenvernichtungsmittel bedingungslos füge.

Kompromißlos gegen einen Angriff auf Irak gibt sich dagegen immer noch China. Perkings Außenminister Qian Qichen sagte gestern im staatlichen Fernsehen, seine Regierung sei „absolut und endgültig gegen den Einsatz militärischer Gewalt, weil deren Gebrauch zahlreiche menschliche Verluste und größere Unruhe in der Region zur Folga haben wird und sogar neue Konflikte auslösen könnte“. China würde im Sicherheitsrat wohl ein Veto gegen ein militärisches Vorgehen einlegen – Grund für die Vereinigten Staaten, eine solche Abstimmung zu umgehen.

In der derzeitigen Situation hält es denn auch UNO-Generalsekretär Kofi Annan nicht mehr für opportun, öffentlich auf die Einhaltung der UN-Charta und einen Beschluß des Sicherheitsrates vor etwaigen Militäraktionen gegen Irak zu bestehen. Debatte Seite 12

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