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Die letzten Flugversuche

■ Mexiko-Stadt aus dem Cockpit einer Propellermaschine

Kaum hat sich die kleine Propellermaschine vom Flughafen in Mexiko-Stadt in die Luft geschwungen, wackelt sie auch schon bedenklich. Das Flugzeug taumelt von einem Luftloch ins nächste. Wir überfliegen die karge braune Hochebene, auf der die größte Stadt der Welt zwischen Vulkankegeln eingebettet ist. Hinter mir fragt jemand die Stewardess, ob seine kleine Tochter mal einen Blick ins Cockpit werfen dürfe. Sie darf. Feierlich führt die Stewardess das Mädchen durch die verbotene Tür. Als die beiden nach ein paar Minuten wieder herauskommen, leuchten die Augen der Kleinen wie der Schneegipfel des Popocatépetl. „¡Qué fortuna!“ sage ich, als sie meinen Platz passieren. Die Stewardess lächelt verschwörerisch und legt Daumen und Mittelfinger so übereinander, daß zwischen ihnen nur ein kleiner Spalt bleibt: „Einen Moment bitte.“ In Mexiko kann so ein Moment Stunden dauern, doch diesmal geht's ganz schnell. „¡Vamos!“

Sie schiebt mich ins Cockpit. Die Aussicht ist überwältigend: Unter uns dehnt sich die fruchtbare grüne Ebene um Veracruz; auf dem tiefblauen Wasser des Golfs von Mexiko schäumen Brandungskronen.

Die beiden Piloten, etwa Mitte Dreißig, bieten mir den Klappsitz in der Mitte hinter ihnen an und schnallen mich fest. Während ich, immer noch stumm vor Staunen, die dichtgedrängten Armaturen im kleinen Cockpit betrachte, reden die beiden Männer munter auf mich ein: „Wo kommst du her, was führt dich nach Mexiko, wie gefällt es dir?“ und so weiter. Ihre Köpfe sind zu mir nach hinten gedreht.

„Kannst du fliegen?“ fragt der Pilot beiläufig beim Kontrollieren der Flughöhe. Ich schüttle den Kopf. „Wir auch nicht“, meint er. „Willkommen in der Crew.“ Sie klatschen sich vor Lachen auf die Schenkel. Das Häusermeer von Veracruz nimmt bereits Konturen an. „Kannst du uns den Flughafen zeigen?“ fragt der Pilot. Ich kann ihn nirgends erkennen. Während der Kopilot mir erklärt, wo sich der Flughafen versteckt, reißt sein Kollege plötzlich das Steuer herum und fliegt eine scharfe Rechtskurve. „Sind wir noch auf dem richtigen Weg?“ frage ich. „Nein, wir ändern gerade unsere Route, wir wollen dich nämlich entführen.“

Der Pilot drückt das Steuer nach vorn, die Maschine sinkt mit der Schnauze schräg nach unten, die Stadt vergrößert sich rapide. Bald rasen wir auf die schwarz geteerte Piste zu. Ebenso rast mein Herz. Nur durch die Plexiglasscheibe des Cockpits von draußen getrennt, wirkt eine Landung doch irgendwie dramatischer.

Als ich mit den anderen Passagieren zu Fuß das Rollfeld überquere, höre ich hinter mir ein Geräusch wie von einer Kindertröte. Können Flugzeuge hupen? Durchs Cockpitfenster winken die beiden Piloten; zur Verstärkung haben sie die Scheibenwischer eingeschaltet, die ebenfalls mitwinken.

Einen Monat später muß ich von Veracruz zurück nach Mexiko-Stadt fliegen. Hoffentlich, denke ich beim Einchecken, fliegen die beiden Piloten diese Tour. Der Bodensteward nimmt mein Ticket entgegen und runzelt die Stirn. „Es tut mir sehr leid, Señorita, aber Ihr Ticket ist ungültig“, sagt er mit Bedauern. „Die Fluggesellschaft hat heute früh Konkurs angemeldet.“ Monika Rößiger

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