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Kein Konzept für frühen Sprachunterricht

■ SchülerInnen sollen schon in der dritten Klasse Englisch, Französisch oder Russisch lernen. LehrerInnen und Eltern begrüßen die Idee, kritisieren aber die Umsetzung: Keine Fortbildungsangebote und

Die Einführung des Fremdsprachenunterrichts bereits in der 3. Grundschulklasse droht zu scheitern. Mehr als drei Monate nach der großspurigen Ankündigung von Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD), die SchülerInnen zwei Jahre früher als bisher in Englisch, Französisch oder Russisch unterrichten zu lassen, gibt es nach Ansicht von Lehrer- und Elternvertretern noch immer kein tragfähiges Konzept.

Die größten Schwierigkeiten sieht GEW-Sprecherin Erdmute Safranski bei Französisch und Russisch, die bisher nur vier beziehungsweise 0,2 Prozent der Fünftklässler als erste Fremdsprache lernen. Weil es in der dritten Klasse noch keinen Fachunterricht gebe, sei ein „Frühbeginn“ mit einer dieser Sprachen aber nur möglich, wenn sich eine ganze Klasse dafür entscheide. Die Eltern müßten sich also schon bei der Einschulung auf die erste Fremdsprache festlegen. Das sei „absurd“.

Für Englisch hingegen gebe es überhaupt nicht genügend ausgebildete PädagogInnen. Zwar hatte Stahmer bei der Vorstellung des Modells verkündet, „statistisch gesehen“ seien „genügend FremdsprachenlehrerInnen“ vorhanden. Doch gilt das bestenfalls für Berlin insgesamt, nicht aber für die einzelnen Schulen. „Das geht nur mit Versetzungen“, warnt Safranski. Doch gerade in der Grundschule, die vorrangig „Erziehungsarbeit“ zu leisten habe, könne man LehrerInnen „nicht einfach aus ihrer Klasse herauslösen“.

Sinnvoller wäre nach Ansicht der GEW ein „gutes Fortbildungsangebot“ am Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung (BIL). Die Schulverwaltung müsse sich von Vorstellung verabschieden, der frühzeitige Sprachunterricht lasse sich „kostenneutral“ umsetzen.

Völlig ungeklärt sei auch die Einbindung in die Stundentafel. „Der Vormittag wird deswegen nicht länger“, meint Safranski, „soll es etwa beim Rechnen weggehen?“ Stahmer habe „ihre Hausaufgaben nicht gemacht“.

„Keine Schule muß müssen“, betont hingegen Stahmers Sprecherin Rita Hermanns die Freiwilligkeit des Angebots. Ohnehin handele es sich nicht um Fachunterricht, sondern um eine „spielerische Begegnung“ mit einer Fremdsprache. An eine flächendeckende Einführung sei erst für das Schuljahr 2000/2001 gedacht. Bis dahin können Schulen, an denen es keine geeigneten Lehrkräfte geben, auf das Angebot auch verzichten.

Damit lasse Stahmer unter dem Vorwand der Autonomie „die Schulen hängen“, meint der Vorsitzende des Landeselternausschusses. „Wenn's schiefgeht“, sagt Peter Sperling, „dann ist die Schule der Buhmann“. Es habe „keinen Sinn, etwas zu propagieren, was personell und konzeptionell noch gar nicht abgedeckt ist“.

Eine „Frühfestlegung auf eine Fremdsprache“, die in der fünften Klasse kaum noch zu revidieren sei, könnten die Eltern „nicht unterstützen“. Wenn nicht alle SchülerInnen am Sprachunterricht teilnähmen, ergebe sich eine Unterscheidung in „Frühbeginner und Nicht-Frühbeginner“ – eine „frühzeitige Selektion“ also, wie sie auch die Befürworter einer auf vier Jahre verkürzten Grundschule bezweckten. Es sei nicht sinnvoll, „elitäre Fächer“ zu pflegen, während bei vielen SchülerInnen selbst die Deutschkenntnisse mangelhaft seien. Ralph Bollmann

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