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Mord in Korsika trifft Frankreich

Selbst auf der Insel verurteilt das gesamte politische Spektrum die Ermordung des Präfekten Claude Erignac am Freitag. Eine Splittergruppe soll verantwortlich sein  ■ Von Dorothea Hahn

Paris (taz) – Soviel Pariser Präsenz wie heute erlebt Korsika selten. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sowie ein gewichtiger Teil der Regierung wollen am Mittag in Ajaccio an der Veranstaltung zu Ehren des am Freitag ermordeten Präfekten Claude Erignac teilnehmen. Zusätzliche Polizeieinheiten vom Festland reisten ihnen bereits am Wochenende voraus.

Auf der Insel verurteilten sämtliche politischen Organisationen – von den Gewerkschaften über alle Parteien einschließlich der militantesten Nationalisten – erstmals einhellig ein politisches Verbrechen. Für heute rufen einzelne Politiker und Geistliche zu einer Viertelstunde Schweigen gegen die Gewalt auf.

Über die Hintergründe des Mordes an dem höchsten Repräsentanten Frankreichs in Korsika gibt es bislang bloß Spekulationen. Zwei junge Männer befanden sich gestern im Polizeiverhör. Die Tatwaffe legt eine Verbindung von den Todesschützen zu bewaffneten korsischen Nationalisten nahe. Die Neun-Millimeter-Pistole Beretta war Ende vergangenen Jahres bei einem Überfall auf eine Polizeiwache gestohlen worden, zu dem sich eine erst wenig zuvor gegründete Gruppe bekannt hatte. Die Gruppe „Sampieru“, die sich bereits im Januar wieder aufgelöst haben will, war ein Spaltprodukt der bereits vielfach zersplitterten korsischen Nationalistenbewegung. Sie soll aus der FLNC-Canal historique hervorgegangen sein – der militärisch stärksten Nationalistenorganisation, die Ende vergangenen Jahres ein Waffenstillstandsangebot an Paris machte. Das Angebot hatte organisationsintern für heftigen Dissens gesorgt. Zusätzlich geschwächt war die Gruppe durch die Verhaftung von François Santoni im Dezember 1996. Santoni, Generalsekretär der „A Cuncolta“, der „legale“ Arm der FLNC-Canal historique, wird unter anderem bewaffnete Erpressung vorgeworfen.

Der ermordete 60jährige Erignac hatte seinen Dienst vor zwei Jahren in Korsika angetreten. Er war mit dem einstigen konservativen Innenminister Charles Pasqua befreundet, genoß aber auch das Vertrauen des Innenministers der rot-rosa-grünen Regierung, Jean- Pierre Chevènement, der bereits am Samstag zusammen mit Premierminister Lionel Jospin nach Korsika fuhr. Erignac war ein „Hardliner“ im Umgang mit den bewaffneten korsischen Nationalisten. In seiner Amtszeit wurden über 40 von ihnen verhaftet – mehr als je zuvor seit dem Beginn des bewaffneten Konflikts in den 70er Jahren. Zugleich war er zuständig für den „Dialog“ mit Paris, der Auswege aus der Gewalt auf der Insel suchen soll.

Einen Monat vor den Regionalwahlen in Frankreich hat der Mord an Erignac Korsika nun erneut in die Schlagzeilen gebracht. Französische Politiker aller Parteien sprachen an Wochenende von dem „nationalen Interesse“, das in Korsika in Gefahr sei.

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