: Unbemerkte Wolke über dem Golf
■ Eine Studie des US-Verteidigungsministeriums ergibt: Irak und Iran könnten C- und B-Waffen ganz anders einsetzen als bisher erwartet
Der US-amerikanische Flottenverband dampft auffallend langsam dahin. Im heimischen Fernsehen ist vom „Konvoi der Pestschiffe“ die Rede. Angefangen hatte es mit Symptomen einer schweren Grippe, die aber bald 20 Prozent der Besatzung befiel. Die erkrankten Matrosen brauchen dringend medizinische Hilfe. In den Hafenstädten der Region aber besteht wenig Neigung, die Schiffe anlegen zu lassen. Denn: Ärzte bestätigen inzwischen den Verdacht: Nicht Grippe, sondern Cholera ist ausgebrochen.
Vier Tage zuvor war in der Region von einem unauffälligen Seelenverkäufer nachts ein Hubschrauber aufgestiegen und hatte drei Kanister mit Kampfstoffen versprüht, um bei Tagesanbruch wieder im Bauch des Frachters zu verschwinden. Während die US- Schiffe durch die Straße von Hormuz in den Golf schipperten, umwehte sie unbemerkt eine bakterielle Wolke.
Dieses Szenario entstammt einer geheimen Studie des US-Verteidigungsministeriums, die in Auszügen dem Fachblatt Defense Week zugänglich gemacht wurde. Die Autoren sollten prüfen, welche strategischen Möglichkeiten die irakischen Führung durch die Herstellung bakterieller Kampfstoffe haben würde. Die Studie ist glaubwürdig, weil sie bisherige Planungen der US-Militärs über den Haufen wirft. Die Bedrohung wird völlig anders dargestellt, als sonst von US-Militärs behauptet.
Das Szenario spielt im Jahr 2007 und geht von einem iranisch-irakischen Zweckbündnis aus. Die UN- Sanktionen gegen den Irak wurden bereits 1999 aufgehoben. Iran bringt in das Bündnis sein internationales terroristisches Netzwerk ein, der Irak sein Know-how bei der Herstellung von Massenvernichtungswaffen. Nach wie vor betrachtet die Staatsführung in Bagdad Kuwait als 19. Provinz Iraks, der Iran will die Zufahrt zum Golf kontrollieren. Nach dreijähriger Vorbereitung besetzt der Irak im September 2010 in einer Blitzaktion Kuwait und erklärt anschließend, keine weiteren Kriegsziele zu haben. Iran besetzt den Hafen der Hauptstadt Bahreins, Manama, und erklärt, nur die Stabilität in der Region wiederherstellen, nicht aber die freie Durchfahrt durch die Meerenge von Hormuz behindern zu wollen.
Iran und Irak haben den Aufmarsch US-amerikanischer Truppen am Golf im Jahre 1991 sorgfältig studiert. Sie wissen, daß sie der hochtechnisierten US-Militärmaschine nichts entgegensetzen können, diese aber an bestimmten Nahtstellen verwundbar ist.
Während der Hubschrauber im indischen Ozean gewaschen wird und im Bauch des Frachters verschwindet, biegt nahe Charlotte, North-Carolina, der Lieferwagen einer Bäckerei von der Hauptstraße ab und fährt an einer der großen Marinebasen der US-Ostküste entlang. In der anbrechenden Dämmerung bemerkt niemand den feinen Nebel, der aus zwei oberhalb des Auspuffrohrs angebrachten Düsen entweicht. Die Besatzung dieses Lieferwagens ist nur eine von vielen Gruppen, die der Iran über Jahre in die USA geschleust hat. Einige haben bei Tabakfarmen nahe der Luftwaffenbasis Pope angeheuert, wo sie von Flugzeugen aus Insektenvertilgungsmittel – und in der entscheidenden Nacht Senfgas versprühen. Eine andere Gruppe plaziert einen verschlossenen Kanister mit Senfgas in die Rolltreppen an der U-Bahn-Station im Pentagon. Ziel dieser Attacken ist die Verbreitung von Panik sowie die Verzögerung der US-amerikanischen Reaktion auf den Truppenaufmarsch der Iraner und Iraker am Golf.
Nicht der Einsatz von B- und C-Waffen auf dem Gefechtsfeld ist der wahrscheinlichste Fall, sondern gezielte, kleine Aktionen im Guerillastil, die nur wenig Opfer zu fordern brauchen. „Asymmetrische Bedrohung“, nennt man das im Pentagon. Unter diesem Stichwort verlangt das Verteidigungsministerium inzwischen eine grundlegende Umstrukturierung der US-Streitkräfte: weniger und besser ausgebildete Soldaten, weniger, aber technisch höher entwickelte Waffen, intensivierte Spionage. Der US-Kongreß sträubt sich noch. Denn Militärstützpunkte vor Ort und Waffenproduktion daheim sichern Arbeitsplätze und Wählerstimmen. Peter Tautfest, Washington
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