■ Jamiris neuer Comic ist da: „Homepages“
: Der vom Alltag zermalmbare Mann

Essen ist ein steinhartes Pflaster, und das ist den Essenerinnen und Essenern auch durchaus bewußt. Während andere öde Orte die ihnen innewohnende Boshaftigkeit mit euphemistischen PR- Parolen zu kaschieren suchen – die westfälische Kleinstadt Herford, der ich einst entsprang, nennt sich „Hin- und Herford“ –, bleibt Essen auch in der Eigenwerbung prosaisch und entschieden unspirituell. „Einkaufsstadt Essen“ hämmert es einem schon am Hauptbahnhof ins Gesicht, damit man auch nicht vergißt: Wenn du hier eintrittst, laß gefälligst alle Hoffnung fahren. Den Traum vom ganz Anderen, von Utopia kannst du hier vergessen: Hier gibt's, was es gibt, und zwar direkt an den Hals.

Kein Wunder also, daß die inspirierteren Bewohner Essens der Stadt irgendwann den Rücken kehren: Den Exodus der Essener Intelligenzija belegen u.a. die Abgänge von Stefan Stoppok, Thomas Gsella, Danny Dziuk und Claudia Aldenhoven. Der verbliebene Rest füllt sich im „Soul Dog“ auf Malzwhiskybasis ab, gibt sich in der „Ampütte“ mit Pils und Frikadellen den Rest, bis als Rausschmeißer „Gute Nacht, Freunde“ in der Version von Cindy & Bert ertönt, und das jeden Abend, oder aber fährt den lokalen Petermännern in ihr wahres Hauptquartier hinterher: in die McDonald's-Drive-in-Filiale Essen-Süd. Und über allem schwebt als Dunst der Ruhri- Alptraum von einst stolzen, aber längst zu Bollos herabgesunkenen Proletariern aus Borbeck und Kray.

Einer aber ist da, der in Essen ausharrt, genau weiß, was er sich antut, und nicht verzweifelt: der Comic-Zeichner Jan-Michael Richter, abgekürzt Jamiri. Über sich selbst sagt er: „Lebt seit nunmehr elf Jahren in Essen, wo es in keiner Hinsicht besonders toll ist, und wird freiwillig dort bleiben. Er nimmt klar seine Umgebung wahr und verrichtet leichtere Arbeiten.“

Solches Understatement ist typisch für den Stil von Jamiri. Von wegen „leichtere Arbeiten“: Hochaufwendig ist sein zeichnerischer Realismus, und seine Kolorierungskunst läßt viele Kollegen vor Bewunderung geradezu erstarren. Seine Essener Stadtansichten haben in ihrer Tiefenschärfe das Zeug zum Klassiker: In seinen besten Arbeiten zeigt Jamiri nicht sprechende Köpfe – er zeigt uns Film. Auch was das Wahrnehmen der Umgebung angeht, hat er nicht übertrieben: Kurzepisch oder pointiert beschreibt er die Welt, in der er sich auskennt: seine eigene.

Die besteht auch in „Homepages“, Jamiris mittlerweile drittem Sammelband mit Ein- oder Zwei-Seiten-Geschichten, aus dem, was einen zwischen Bohème- Anspruch und Ackerei hin und her geworfenen jungen Mann von Talent und Geist beschäftigen kann: Drogenexzesse und die daraus folgenden metaphysisch verschlungenen Dialoge mit bzw. über Gott, Erbitterung über die fast durchgehend kenntnisfreie Rezeption von Comics in der sog. weiterführenden Literatur, und dazu lästige Banalitäten wie Matthias Horx, Hillu Schröder und das Katzenklo. Reale wie virtuelle Quälgeister des Daseins werden von Jamiri bzw. seinem Superhelden-Alter-ego „Spacejamiri“ mit jener listig-gewitzten Schlagfertigkeit bekämpft, die einem im wirklichen Leben meist leider erst zwei Minuten später einfällt. Oft aber, zumal in den Kämpfchen mit seinem Fixstern, einer Frau, die mal Beate, mal despektierlich General Kleinschmidt heißt, zieht Jamiri clever die Sympathie auf sich und präsentiert sich als der unterlegene, als der von der Profanität des Alltags zermalmbare Mann.

Die Frage allerdings, ob Jamiris hochdetaillierte Darstellung seines Eigenuniversums denn ausreichend klassenkampfumwittert sei, muß verneint werden. Als vor zwei Jahren Jamiris zweiter Band, „Bohème 29“ erschien, schäumte der junge Welt-Rezensent Holm Friebe: „Was Richter vorbringt, eröffnet den nur notdürftig verstellten Blick direkt ins Hirn eines spießigen Nonkonformisten.“ Wohingegen im linkskonform aufdeckerischen Ton geäußerte Abneigung natürlich per se extrem unspießig ist. Auch andere lustige Feinde sind mit von der Partie: Jamiris eher harmlos verspielte als hart blasphemische Einlassungen zu Gott bringen regelmäßig bekennende Jungchristen dazu, in Leserzuschriften den Inhalt ihrer Köpfe zu entblößen. Das tut ihnen gar nicht gut, den Köpfen.

Die seriöse Jamiri-Forschung indessen stellt fest: Gerne möchte der durch drei Sammelbände angekoberte Fan nun bald erfahren, was Jamiri jenseits der Kurzstrecke zu schaffen imstand ist. Mit anderen Worten: Alben! Wir wollen Alben! Und wenn Jamiri da partout nicht wegwill, dürfen die auch in Essen spielen, dieser schönen häßlichen Stadt. Wiglaf Droste

Jamiri: „Homepages“. Unicum Edition, Vertrieb Eichborn, 48 Seiten, 20 DM