: Die Rache der Mühseligen
■ Wenn Männer zu sehr leiden: Der Gejagte, eine Verschwörungshysterie von Regisseur Paul Schrader
Männer sind Leute, die allein leben und auch so sterben. Das hat mal Alain Delon gesagt und zog darauf in ein Schlößchen in der Auvergne, um mit seinen Hunden statt mit seiner Freundin zusammen zu sein. Im Matthäus-Evangelium vollbringt Gottes Sohn seine Wunder vorzugsweise an Männern. Um eine Frau von einem Leiden zu heilen, muß es am besten die Schwiegermutter von Petrus, jenem Lieblingsjünger von Jesus, sein.
In dem Film Taxi Driver unternimmt der Taxifahrer Travis Bickle wenig erfolgreiche Versuche, mit einer Wahlkampfhelferin eines US-Präsidentschaftskandidaten anzubandeln. Das bringt ihn so durcheinander, daß er sich die Haare schneiden läßt und auf unliebsame Individuen mit einer Pistole schießt.
Das Drehbuch für Taxi Driver schrieb Paul Schrader 1975. Nach weiteren Zusammenarbeiten mit Martin Scorsese überwand Schrader Kokainsucht und eine Liebe zu Nastassja Kinski, um in seinem neuen Film Der Gejagte Nick Nolte als Kleinstadtpolizisten alte Behauptungen neu aufstellen zu lassen: Männer lieben das Gefühl, durch Überforderung unfähig zu sein. Haben sie sich gerade bei einer Frau einen Korb eingehandelt, erfinden Männer gerne Metaphysiken oder Verschwörungstheorien für ihren ganz persönlichen Gefühlshaushalt. Vorausgesetzt, es sind keine verständnisvollen Hunde in der Nähe oder die nun mal schwer zu übergehende Schwiegermutter eines Vertrauten.
In der Nähe des Gejagten halten sich Erinnerungen an einen brutalen Vater auf und an ein Telefon, um den längst weit entfernt lebenden Bruder zu erreichen. Eine Ex-Frau, die ihm die gemeinsame Tochter streitig macht, und Arbeitskollegen, die sich als Fieslinge mit – wie es Indiander sagen – gespaltener Zunge herausstellen. Als einer dieser Arbeitskollegen einen Honoratior durch einen Wald führt, damit der schneller an einen Hirsch herankommt, kommt nicht das Tier sondern der Schütze durch sein eigenes Gewehr zu Tode.
Cop Nick Nolte verläßt die Lust auf Wirklichkeit. Er unterstellt von nun an Zusamennhänge, die einen Mordkomplott oder korrupte Politik plausibel erscheinen lassen und den tumben Kleinstadtschupo gleichzeitig zum Sprecher der Mühseligen und Rächer der Beladenen veredeln. Schrader läßt von der Chance, einen Entwicklungsroman anzureißen vor allem die Klage übrig, der Entwicklung anderer Leute nicht mehr folgen zu können.
Der Gejagte sieht Ohnmacht nicht so sehr als ein Unrecht denn als ein Menschenrecht an. Rechthaberei ist nicht nur etwas für ältere Menschen. Rechthaberei bedeutet für alle, die nichts verbessern wollen, die günstige Gelegenheit, der Welt einmal vorwerfen zu dürfen, daß sie einen in den Wahn getrieben hat. Über den Wolken muß das Selbstmitleid wohl grenzenlos sein.
Kristof Schreuf
Neues Cinema
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen