Schönheiten hinter dem Ideologieschleier

■ Zwei deutsche Bildhauer: Georg Kolbe im Gerhard-Marcks-Haus und Bernhard Hoetger in der Böttcherstraße

Wie sie da hockt. Diese junge Frau. Nackt. Aus Bronze. Die Beine angewinkelt und von ihren Armen umfaßt, die Haare streng nach hinten gekämmt, die Lider geschlossen. Versonnen. Seltsam versonnen. Denn es ist unentschieden, ob sie in dieser Haltung gerade Platz nimmt oder sich aufrichten will. Es scheint, als denke sie selbst darüber nach, als sei sie beim Nachdenken in dieser Pose eingefroren. „Sitzende“nannte der Bildhauer Georg Kolbe diese 1926 entstandene Skulptur. Es ist eine unter vielen Skulpturen, so schön, daß einem mulmig zumute werden kann. Und wo es mulmt, sind Streit oder Mißverständnisse nicht fern.

Verbindung mit Reaktionspotential

„Kennen Sie Kolbe? – Deutschlands liebster Bildhauer der Vorkriegszeit“nennt das Gerhard-Marcks-Haus die aus Berlin übernommene Ausstellung mit (Früh-) Werken des 1877 im sächsischen Waldheim geborenen Künstlers. Zeitgleich zeigen die Kunstsammlungen Böttcherstraße jetzt eine umfassende Retrospektive auf Bernhard Hoetger, den Architekten von Bremens berühmtester Gasse. Dies ist eine Verbindung nicht ohne Reaktionspotential. Denn auch der drei Jahre ältere Hoetger (1874-1949) konnte wenigstens zeitweise, dafür aber überregional in den Charts der LieblingsbildhauerInnen mithalten. Wie Kolbe hat auch Hoetger ungezähltes Mulmig-schönes hinterlassen. Wie Kolbe wird auch Hoetger jetzt in Bremen mit den Attributen größte oder umfangreichste Schau seit Jahrzehnten ausgestellt. Und wie Kolbe steht auch Hoetger für ein ganz und gar zwiespältiges Verhältnis zwischen (deutsch-) nationalistisch gefärbtem Kunstauffassen und nationalsozialistischer Kunstdoktrin.

„Wir wollten Hoetger schon 1985 umfassend würdigen“, sagt Christian Tümpel von der Universität Nijmegen. Doch die NiederländerInnen vertagten das Projekt. Der Grund: „Alle Handbücher über deutsche Bildhauer und die Skulpturgeschichte der ersten Jahrhunderthälfte waren ideologisch gefärbt“, sagt Tümpel und bilanziert: „Die Zeit war noch nicht reif dafür.“Zum Teil fehlten ganze Stilrichtungen, zum Teil gab es Gleichsetzungen a la figurative Künstler seien angepaßt und abstrakte politisch engagiert gewesen. „Die vielen Grautöne blieben unberücksichtigt“, erinnert sich Tümpel und machte sich zusammen mit seiner Gruppe an die Arbeit zum herausragenden Ausstellungsprojekt „Deutsche Bildhauer – Entartet“, das zu Beginn der 90er Jahre auch in Bremen zu sehen war. Auf dieser geistreich bunten Nachzeichnung der Grautöne, nach denen ein Künstler wie Hoetger NSDAP-Mitglied und Verfemter zugleich war, baut die Retrospektive in der Böttcherstraße und das mit einem Umfang von 500 Seiten Katalogmaße sprengende Begleitbuch auf. Auch die Aufbereitung der Kolbeausstellung ist davon stark beeinflußt.

Georg Kolbe beginnt mit Malerei. Es sind Akte, Gruppenbilder in einer Pseudonatur, teils schwulstig, häufig gedankenschwer, meistens mysthisch aufgeladen. Jugendstilkunst. Im Frühjahr 1904 verlegt er sich aufs Zeichnen und vor allem auf die Bildhauerei. Es entstehen Köpfe, Figuren – schwebend leicht trotz Bronzeschwere – und ganz wunderbare aquarellierte Zeichnungen von Körpern in Bewegung. Bald läßt er den Expressionismus einfließen, bald den sogenannten Exotismus, wenn ihm bevorzugt Frauen aus nicht-europäischen Ländern Modell sitzen oder stehen. Er schafft Ausdrucksplastiken – der menschliche Körper wird zum Sinnbild für Verlangen, Klage oder Verkündung. Erst mit dem Tod seiner Frau im Jahr 1927 vollzieht Kolbe einen dramatischen Wandel: Die Figuren werden heroisch, idealisierend, stahlhart.

Kunst nach Hitlers Wünschen

Seine InterpretInnen unterschätzten bis in die Gegenwart den privaten Anlaß dieses Wandels und warfen Kolbe Konjunkturreiterei zur Anbiederung an die Nazis vor: „Grundsätzlich inhuman“sei die Substanz von Figuren wie „Dionysos“, schrieb ein Publizist 1982. Das „Menschenpaar“am Maschsee in Hannover repräsentiere den NS-Staat und entspreche genau Hitlers Wünschen, urteilten andere. Noch jetzt nährt die Ausführung des „Menschenpaares“am Maschsee oder das Modell im Gerhard-Marcks-Haus in der idealisierten Physiognomie diesen Verdacht. Genauso wie der figürliche Akt jahrzehntelang diskreditiert war, weil die Nazis ihn nicht verboten, wirkt hier eine Ekelschwelle bis in die Jetztzeit fort. Doch als sich die Nationalsozialisten gegen Ende der 30er Jahre zur Definition durchrangen, was – innerhalb der nicht „entarteten“Kunst – gut oder schlecht ist, machten Bildhauer wie Arno Breker das Rennen. Kolbes Figuren waren ihnen für „große Taten nicht entschlossen genug“. So unternehmen die Ausstellung „Kennen Sie Kolbe?“mit der Konzentration auf das Frühwerk und der Katalog mit seinen Texten auch eine Art Rehabilitation.

Das ist bei Bernhard Hoetger schon schwieriger. Zu schillernd sind Werk und Persönlichkeit dieses kreativen Tausendsassas, der sich mit Ausnahme von Film und Fotografie in jedem künstlerischen Metier betätigte.

Als Bernhard Hoetger die Bühne betritt, erreicht er schon bald den kunstgeschichtlichen Zenit seiner Laufbahn. „Hoetger gehört zwischen 1900 und 1910 zu den bedeutendsten deutschen Bildhauern“, urteilt Christian Tümpel. Durch einen mehrjährigen Aufenthalt in Paris kommt er auf den Geschmack der Kunst Aristide Maillols, Auguste Rodins oder Paul Gauguins. Unter diesem Eindruck schafft Bernhard Hoetger, der sich nicht zu Unrecht als Entdecker Paula Becker-Modersohns bezeichnete, zahlreiche Skulpturen.

Nach seiner Rücckehr nach Deutschland verändert er – nicht zum letzten Mal – seinen Stil. Ihm gelingt nach seinen Worten die „Genesung von der Krankheit des Impressionismus“. Hoetger entwirft seine Jugendstil-Majoliken und schafft expressionistisch aufgewühlte Gestalten wie für das Bremer Volkshaus, um sich später immer stärker anderen Feldern zuzuwenden: Der Architektur (Mathildenhöhe Darmstadt, TET-Stadt in Hannover und Bremer Böttcherstraße), der Malerei, dem Kunsthandwerk und der Zeichnung bis an die Grenzen der Karikatur.

Als „Künstler einer Übergangsphase“bezeichnete der Direktor der Bremer Kunsthalle, Gustav Pauli, Bernhard Hoetger schon 1914. Auch Christian Tümpel betont über 80 Jahre später, daß er nach 1910 noch Gutes geleistet habe, aber vor allem als Bildhauer an Bedeutung verloren hätte.

Die Ausstellung macht das nachvollziehbar: Gut seine von Rodin inspirierten Arbeiten, hervorragend seine Fratzengestalten, doch in der Summe erweist sich die Retrospektive als Wechselspiel zwischen hoher und minderer Qualität, zwischen eigener Idee und allzu deutlicher Nachahmung.

Sehenswert ist die Retrospektive in der Böttcherstraße – wie auch die Kolbe-Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus – aber auf jeden Fall. Überaus lesenswert auch das Katalogbuch, dessen AutorInnen wohl alles sagen, was über Hoetger, sein Verhältnis zu den verschiedenen Mäzenen, seine Abhängigkeit vom Urteil eines Kritikers oder seine Doppelrolle im Nationalsozialismus zu sagen ist.

Christoph Köster

Bernhard Hoetger: Skulptur, Malerei, Design, Architektur – Kunstsammlungen Böttcherstraße bis zum 7. Juni; Katalog 58 Mark. „Kennen Sie Kolbe?“– Georg Kolbe im Gerhard-Marcks-Haus bis zum 19. April, Katalog 35 Mark