piwik no script img

„Mal am Joint gezogen“

■ Cannabis-Experte Grotenhermen vermutet „ideologische Gründe“ hinter der Disqualifikation

Der Hanfexperte Dr. med. Franjo Grotenhermen, Köln, Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“, hält den Ausschluß des Snowboard-Olympiasiegers Ross Rebagliati für „völlig unverhältnismäßig“.

taz: Wie kommt Marihuana auf die Liste der verbotenen Stoffe?

Grotenhermen: Marihuana entspannt. Es nimmt vielleicht auch ein wenig das Lampenfieber, man geht gelöster an den Start. Es lindert Schmerzen, hat aber keine leistungssteigernden Wirkungen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß man Marihuana eher aus ideologischen Gründen auf die Verbotsliste gesetzt hat.

Wie lang ist die Halbwertszeit von Marihuana?

Die Halbwertszeit von THC, dem wichtigsten psychotropen Wirkstoff von Marihuana, liegt bei 24 bis 48 Stunden. Die Halbwertszeit der Abbauprodukte – die im vorliegenden Fall gemessen wurden – liegt bei vier bis fünf Tagen. Man kann diese Abbauprodukte sehr lange nachweisen.

Dann hat Rebagliati womöglich vor drei oder vier Tagen ein wenig Gras geraucht und wird jetzt dafür disqualifiziert?

Das ist durchaus denkbar. Bei der Größenordnung von 17 Nanogramm, um die es hier geht, wäre es möglich, daß er vor zwei Wochen etwas konsumiert hat. Vielleicht hat er auch nur etwas Speiseöl aus Hanfsamen zu sich genommen.

Rebagliati behauptet, er habe lediglich passiv mitgeraucht. Ist das plausibel oder eine Ausrede?

Das ist durchaus möglich. Wenn in den letzten sechs bis zwölf Stunden in seiner Umgebung Marihuana geraucht wurde, kann solch ein Wert auftreten.

Der Grenzwert von 15 Nanogramm ist also sehr streng?

Extrem streng. Bei einem starken Konsumenten werden sie 500, 1.000 und mehr ng pro Milliliter Urin nachweisen. Bei einem Gelegenheitskonsumenten können sie immer noch 50 ng messen.

Wenn Rebagliati in den letzten 24 Stunden tatsächlich gekifft hat, was wäre dann in seinem Urin los?

Dann hätte man dort deutlich mehr Abbauprodukte finden müssen. Vielleicht hat er mal an einem Joint gezogen. Er ist auf jeden Fall ein sehr, sehr mäßiger Konsument. Wenn man es mit anderen Stoffen vergleicht, dann entspricht das einem halben Glas Wein zum Essen oder einem halben Täßchen Kaffee. Alkohol und Koffein stehen ja auch auf der Verbotsliste. Aber der Marihuana-Grenzwert ist offenbar besonders streng.

Ist der Ausschluß berechtigt?

Die Entscheidung steht auf wackligen Beinen. Sie ist völlig unverhältnismäßig. Interview: Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen