Der Pakt mit dem Teufel

Während Olympiasiegerin Nicola Thost Welt und IOC zeigen will, daß Snowboarder nicht ständig „bedröhnt“ sind, kriegt Kiffer Ross Rebagliati sein Gold zurück  ■ Aus Yamanouchi Matti Lieske

Ob die Organisatoren die Wettbewerbe im Snowboarding absichtlich in die Region der Schneeaffen gelegt haben, sei dahingestellt. Sicher ist, daß die Snowboarder die größten Exoten der Winterspiele sind. Einige ihrer Besten haben sich geweigert, beim Weltskiverband FIS zu Kreuze zu kriechen, was das Internationale Olympische Komitee (IOC) zur Bedingung für die Olympiateilnahme gemacht hatte. Sie halten ihrem Verband IFS die Treue und fehlen in Nagano. Zum Beispiel der Norweger Haakonsen, der dem IOC unverblümt „organisiertes Verbrechen“ nachsagte. „Er ist der Beste“, konstatiert Nicola Thost aus München, die gestern überraschend den Wettbewerb in der Halfpipe gewann, „er braucht niemandem mehr was zu beweisen, deswegen war seine Entscheidung richtig.“

Für sie und all jene, die in Japan angetreten sind, sieht die Sache ein bißchen anders aus. Auf der einen Seite sagt Nicola Thost, daß es für sie „ein Wettkampf wie jeder andere“ gewesen sei, auf der anderen gibt sie zu, daß vor allem das große Medieninteresse ungewohnt sei. Und ihre Eltern wären wohl auch nicht für jeden beliebigen Wettkampf nach Japan gereist.

Die 20jährige hat selbst kräftig dazu beigetragen, daß ein Olympiagefühl bei ihr gar nicht erst auftreten konnte. Am Dienstag ist sie angekommen, heute früh war sie schon wieder weg, Nagano hat sie nur gestern bei der Siegerehrung gesehen. „Ein schneller Besuch“, grinst sie nach ihrem Sieg, „vier Tage, sehr effiziente Arbeit.“

Shannon Dunn aus den USA war durch einen Sturz im zweiten Durchgang vom ersten auf den dritten Rang zurückgefallen und hatte so den Weg zur Goldmedaille für die Deutsche freigemacht. Sie läßt keinen Zweifel daran, daß Olympia etwas Besonderes ist: „Allein die viele Leute, es ist eine ganz andere Atmosphäre.“ Um die zu erleben, hat sie harte Kompromisse eingehen müssen, zum Beispiel die Garderobe des US-Teams tragen. „Normale Kleidung“, sagt sie und lacht schallend, „so was würde ich sonst nie anziehen.“ Für Dunn ist Snowboarding in erster Linie Spaß, Spaß und nochmals Spaß, weswegen ihr die entgangene Goldmedaille die Laune kaum verderben kann. Auch sie ist jedoch daran interessiert, das Ansehen ihres Sports durch Olympia zu fördern.

Siegerin Thost spricht am deutlichsten aus, woran der kooperativen Fraktion der Snowboarder liegt. „Wir müssen zeigen, daß wir nicht die ganze Zeit betrunken und bedröhnt in der Ecke liegen.“ Der Fall des marihuanageschädigten Kanadiers Ross Rebagliati habe diesem Bemühen schwer geschadet, „weil er total ins Klischee paßte“. Nicht umsonst hatte Picabo Street bei der Kunde vom Dropingfall spontan gerufen: „Jippiie, Snowboard ist bei Olympia angekommen.“ Verschwiegen hatte sie, daß sie selbst vor zwei Jahren bei der WM in der Sierra Nevada marihuanapositiv war. Damals stand Cannabis bloß noch nicht auf der Liste.

Der Fall Rebagliati hat deutlich gemacht, in welchem Spannungsfeld sich Snowboarding bei Olympia bewegt. Das IOC, dessen Präsident Samaranch sich für den Pakt mit der Sportart starkgemacht hatte, will die Popularität, die Jugendlichkeit und die geschäftlichen Möglichkeiten eines Sports nutzen, der in einigen Jahren das traditionelle Skifahren überflügelt haben wird. Von der dem Sport eigenen „Freigeistigkeit“, wie es Kanadas Teamchef Michael Wood nennt, will es aber nichts wissen.

Seit das IOC ernst macht mit dem Kampf gegen Doping und erstmals die Kiffer verfolgt – was sind Testosteron, Anabolika und ähnliche Kinkerlitzchen schon gegen einen handfesten Joint? –, ist neben langweiliger Kleidung und FIS-Zwang neuer Zündstoff in die schwierige Beziehung gekommen. „Nicht jeder Snowboarder raucht Joints“, sagt Wood zwar, aber das behaupten manche auch von der NBA. Wenn man dort Tests durchführte, würde bald nur noch Detlef Schrempf spielen.

IOC-Exekutivmitglied Kevan Gosper war es vorbehalten, die Katze aus dem Sack zu lassen. „Das könnte diesem Sport eine frühe Lektion erteilen“, sagte der Australier mit der Olympiafunktionären eigenen arroganten Dreistigkeit, „alle neuen olympischen Sportarten machen eine wacklige Zeit durch, bis sie merken, daß sie in der Realität angekommen sind.“

Gestern allerdings hob der Internationale Sportgerichtshof (CAS) diese durch das IOC ausgesprochene Disqualifikation auf, was eine schwere Niederlage für das IOC bedeutet. Das Richtertrio begründete seine Entscheidung erstens formal, zweitens habe der verbreitete Dopingleitfaden Marihuana nicht als verbotene Substanz aufgeführt. Das IOC ließ wissen, man werde sich „an alle Aspekte des Urteils halten“. Innen sieht's freilich anders aus. Das wertkonservative deutsche IOC-Mitglied Thomas Bach etwa „will keinen Olympiasieger unter Drogen“.

Was die Snowboarder betrifft: Auch die müssen sich nun genau überlegen, wie sie's künftig mit dem IOC halten wollen. Im Fall Rebagliati machten sie den Olympiern schon mal deutlich, daß die mit einem Phänomen zu rechnen haben, das ihnen sonst nicht allzu häufig begegnet: der Solidarität unter den Athleten. „Kein anderer wird die Medaille anrühren, sie gehört Ross“, hatte Silbermedaillengewinner Franck klar gesagt. Tatsächlich, gestern zog der coole Regabliati sie wieder aus der Tasche und hängte sie sich um.

Derweil schloß das östereichische NOK den Snowboarder Martin Freinademetz aus dem Team aus. Grund: eine Party von ungefähr 20 Snowboardern, bei der es „zu Zerstörungen im Hotel“ gekommen sein soll. „Das ist doch alles lächerlich“, sagte die Schweizerin Anita Schwaller, „nicht die Fahrer wollten unbedingt zu Olympia. Die wollten uns.“ Das haben nun beide Seiten davon.