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Auf Tauchstation: Alkoholkranke schämen sich

■ Bremer Fachtagung zu Suchthilfe: MedizinerInnen erkennen Suchtprobleme oft zu spät. Häufige Folge: Falsche Behandlung

„Mhm, sehen gar nicht gut aus, die Leberwerte“, sagt der Hausarzt und greift in die Rezeptschublade. „Weil er gar nicht erkennt, daß es sich um einen Alkoholiker handelt“, sagt Antonius Holz von der Deutschen Suchthilfe. „Oder weil er dem nicht reinreden will.“Niedergelassene Ärzte seien eine der Gruppen, die bei der Beratung und Versorgung von Suchtkranken am wenigsten miteinbezogen sind. Einen Einstieg in gemeinsame Diskussion und Kooperation schaffen sollte eine Fachtagung „Vergessene Mehrheit – chronisch Suchtkranke“, die die Senatsverwaltung für Gesundheit, das Gesundheitsamt Bremen und das Zentralkrankenhaus Ost in den vergangenen beiden Tagen veranstaltet hat.

20.000 BremerInnen sind nach „vorsichtigen Schätzungen“des Landesdrogenbeauftragten Ingo Michels alkoholkrank und „dringend behandlungsbedürftig“. „Aber wir erreichen davon vielleicht 2.000.“Hauptprobleme: Die verschiedenen Gruppen, die mit der Suchtarbeit zu tun haben, sind noch nicht ausreichend vernetzt, die medizinische Primärversorgung – und vor allem die Erkennung – durch Hausärzte und Allgemeinkrankenhäuser ist weitgehend defizitär. Und: Sogenannte chronisch Suchtkranke – das sind beispielsweise AlkoholikerInnen, die seit Jahrzehnten an der Flasche hängen, womöglich schon mehrere Entzüge hinter sich haben und bei denen die Krankheit längst Auswirkungen auf den Alltag hat – gelten schnell als hoffnungslose Fälle. Immer wieder, so bestätigen SozialarbeiterInnen und PsychologInnen aus ihrer Praxis, kämen sie in Wohnungen, die „komplett verwahrlost“seien. „Verschimmelte Essensreste, faulende Abfälle, dazwischen überquellende Aschenbecher und leere Flaschen – und die Mieter sehen manchmal nicht besser aus.“

„Ob so ein Fall hoffnungslos ist, kommt ganz auf die Definition an“, gibt Holz zu bedenken. „Muß es gleich das erste Ziel sein, den Menschen abstinent zu bekommen – oder reicht es nicht erst einmal, ihm wieder einen Sinn für Ordnung und für sich selbst nahezubringen?“Er wisse aus Erfahrungsberichten, daß HelferInnen heute nicht mehr – wie noch vor ein paar Jahren – vor verschlossener Tür stünden, sondern „regelrecht hineingerissen“würden. Allerdings sei es schon schwierig, überhaupt mitzubekommen, wo jemand sich in so einer Situation befinde.

Kontakte kommen heute vor allem über Anrufe von NachbarInnen oder Verwandten zustande, es gebe aber auch Alkoholkranke, die von ihren Betrieben geschickt würden und sich dann selber meldeten. „Wenn jemand an seinem Arbeitsplatz auffällt“, so Holz, „kann es sein, daß er erst einmal verwarnt wird, aber zur Auflage bekommt, sich beraten oder therapieren zu lassen“.

Die AnsprechpartnerInnen für die ambulante Versorgung sitzen in Bremen beinahe ausschließlich bei den sozialpsychologischen Diensten, allerdings leisten sich auch einzelne Krankenhäuser SuchtspezialistInnen, die aber vor allem für die stationäre Betreuung zuständig sind. „Das ist für uns eine Schwierigkeit, weil wir alleine gar nicht an alle Szenen herankommen“, meint Michels. Der Schwerpunkt der Suchthilfe müsse deswegen neben der stärkeren Einbeziehung von niedergelassenen ÄrztInnen darin bestehen, mit Initiativen und Verbänden zusammenzuarbeiten, mit denen es Schnittstellen in der Klientel gibt: ObdachlosenbetreuerInnen beispielsweise, Arbeitslosengruppen oder StreetworkerInnen.

bw

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