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■ „Insel der Dämonen“: Balinesische Malerei der 30er Jahre im Überseemuseum

Die Geburt ist ein kniffliger Moment im Leben eines Menschen. Beim Transfer von einer Welt in die andere kann es natürlich leicht passieren, daß ein widerlicher Dämon mit zotteligen Dreadlocks, vampiristischen Hauern und einem zweiten, wild glubschenden Augenpaar in den Ohren mal eben vorbeischaut und die Seele des unerfahrenen Erdankömmling stiehlt. Da kann man nur eines tun: eine Amme rufen, die mit zappeligem Tanz, wüstem Geschrei und bis zum Nabel heraushängender Zunge den Dieb vertreibt. Dämonen sind nämlich sehr schreckhaft. So geht Geburtshilfe auf Balinesisch.

Im Überseemuseum kann man zur Zeit ziemlich detailierte Einblicke bekommen in das Leben auf Bali: Reisanbau, Holzhacken, Bestattungsrituale, Legenden, Machtkämpfe zwischen Hexenmeistern, Gamelan-Orchester, Arja-Theateraufführungen und sogar die Träume des 25jährigen Ida Togog. Sie kommen nicht aus erster Hand, dafür aber aus berufenem Mund.

Margaret Mead analysierte 1935 in „Geschlecht und Temperament in primitiven Gesellschaften“drei erstaunlich unterschiedliche Sozialgefüge in Neuguinea. Für die wonneproperen Arapeshs ist Freundlichkeit die zentrale Tugend. In ihrem Nachbarstamm dagegen dominieren Egoismus, Streitsucht und eine von Liebe abgespaltene Sexualität. Wieder ein paar Hügel weiter beherrschen disziplinierte Frauen ihre tapsigen Männer. Zum Teil sind es geographische Umstände und die damit einhergehenden Formen der Nahrungsbeschaffung, die die Gruppenmentalität bestimmen. Jedenfalls ist die abendländische Organisation von Macht, Sexualität und Emotion keinesfalls die einzig mögliche, geschweige denn die beste aller möglichen.

Ein Jahr später bereiste Margaret Mead zusammen mit ihrem zweiten Ehemann Gregory Bateson Bali – und staunte. Ein Aussteigervölkchen aus Europa und Amerika hatte den interkulturellen Dialog bereits eröffnet. Maler aus Deutschland und Belgien versorgten Einheimische mit Papier, Bleistift und schwarzer Tusche. Balinesische Brahmanen, Reisbauern, Maskenmaler und sogar die 15-jährige Tochter eines Kunsthandwerkers übertrugen ihre detailbesessenen Formvorstellungen aus traditionellem Scherenschnitt oder Maskengestaltung in das Medium der Malerei. Mit pragmatischen Hintergedanken: Die Fleißarbeiten, in denen sich Bäume, Hütten und Menschen zu einem kaum entwirrbaren Ornament verschlingen, wurden an ethnoselige Touristen verkauft.

Das amerikanische Ethnologenpaar interviewte die Maler und sicherte sich circa 1.200 Tuschzeichnungen zur späteren Auswertung. Diese wurde von Gregory Bateson nur sehr fragmentarisch vollzogen: Freudianisch-zeitgeistig entdeckte er hie und da ein paar Phallussymbole und machte sich seine Gedanken über dezentrale Raumaufteilung. Erst in den 70er Jahren bearbeitete die Anthropologin Hildred Geertz den großen Stapel an gemalten Geschichten zur Ausstellungsreife. Bestens kommentiert reisen jetzt 104 balinesische Bilder um die Welt. Sie wurden in Amerika und Japan gezeigt. In unserm Lande bekundete nur das Überseemuseum Interesse.

Die anderen deutschen Völkerkundemuseen müssen ziemlich verschnarcht sein. Denn die Ausstellung ist ein besonders schönes Beispiel für die Heisenbergsche Unschärferelation in der Ethnologie: Das Erkenntnisobjekt wird durch die eigene Neugier immer schon ein bißchen verfälscht. Ist zum Beispiel das Zumalen der Bildfläche bis ins letzte Eck eine Spontanübereinkunft der etwa 70-köpfigen balinesischen Malergruppe? Verdankt es sich Tradition hinduistischer Miniaturmalerei? Oder den Einflüsterungen des weißen Mannes? Schwer zu sagen.

Eine andere Frage wird in der wunderbaren Ausstellung geklärt: die nach dem Ursprung der Menschheit. Ein betwütiger heiliger Mann (kein Mensch) rührte einen Gott so sehr, daß der ihm seine zwei Söhne schickte. Die zeugten (Homosexualität auf Bali?) uns. Am Anfang war das Gebet. Natürlich gibt es biblische, genauer allgemeinmenschliche Storys, zum Beispiel von Klein Kepet, der wie David einen Riesen besiegt, oder von der Angst der Männer vor dem Frauenraub. Und die balinesischen Hexenmeister erinnern an westliche Ärzte: sie sind eitel, gemeingefährlich, aber unverzichtbar.

Wie in mittelalterlichen Kreuzwegdarstellungen zeigen manche Bilder – comicartig – gleich mehrere Episoden einer Geschichte. Glücklich schätzt sich da der Besucher über das braune Täfelchen mit getueloser Erläuterung. Aber schon die einfache Darstellung einer Bestattungszeremonie, wo die Angehörigen mit Geplärr die raffgierigen Dämonen vertreiben und liebevoll die Knochen ihres Verblichenen zermalen, ist ein kompliziertes Suchbild. Zeit und Geduld sollte der Besucher mitbringen, schon allein für die tausend unterschiedlichen Blätterformen, die wie Fächer, Palmwedel oder Dolche erscheinen.

Und wenn ein Dämon kommt, einfach zappeln und Zunge raus. bk

bis 12. April

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