: Schöne DDR-Sachen
■ Sehr, sehr hübsch, angenehm wehmütig: Andreas Dresens „Raus aus der Haut“
Berlin, Hauptstadt der DDR, 1977. Marcus ist in die hübschblonde Anna verliebt, allerdings zu schüchtern, die Dinge vernünftig in Angriff zu nehmen. Anna ist mehr oder weniger mit einem schmalen Rockmusiker zusammen, der den ausgewiesenen Musiker Klaus Renft verehrt und „Smoke on the water“ gerne spielt und wegen renitenten Verhaltens von der Schule flog. Nun arbeitet er als Friedhofsgärtner und gondelt ansonsten mit einem Kleinlaster durch die Gegend, auf dem der Name seiner Band – „Feuersbrunst“ – steht.
Durch Nachrichten über die Schleyer-Entführung werden die Jugendlichen inspiriert, ihren Direktor zu entführen, damit er ihre Lebenswünsche nicht behindern kann. Der Direktor wird nach einer turbulenten Entführung, bei der man denkt, wie nett es doch wäre, grundsätzlich Chefs ab und an zu betäuben, im Keller des Hauses von Annas Mutter festgehalten. Später stellt sich heraus, daß er doch nicht so ein Schlechter ist, sondern ähnliche „Fragen“ ans System hat wie seine Schüler. Erotische Verwicklungen und Eifersüchteleien gibt es selbstverständlich auch, schließlich wurde der Film für die ARD-Reihe „Wilde Herzen“ produziert.
Am Ende wird der ins sympathisch Menschliche sich verwandelt habende Direktor freigelassen, Anna und Marcus kuscheln miteinander, und weil Anna es sich so gewünscht hat, singt der Rockmusiker beim Schulfest einen Renft-Song, in dem es darum geht, daß jeder raus aus seiner Haut will, und wird darauf schnell von der Stasi mitgenommen. Der Exdirektor, dem man seine Geschichte nicht glauben mag, stirbt an einem Herzanfall. Alle sind, wie in DDR- Filmen üblich, sympathisch und haben auch menschlich viel gelernt. Ein angenehm humanistischer, auch humorvoller Film, der ein bißchen an den Lindenberg- Klassiker „Nordsee ist Mordsee“ erinnert, niemandem weh tut und sehr, sehr liebevoll ausgestattet ist. Diese braunen Tapeten zum Beispiel in Elternwohnstuben und Lehrerzimmern und diese lindenbergmäßigen Jeanssachen stimmen mich immer sehr angenehm wehmütig.
Als ich vor anderthalb Jahren mal auf einem Renft-Konzert war, wurde die ehemalige Superoppositionsband von DDR-Nostalgikern jedweder Couleur bejubelt, und hätte man nicht gewußt, daß das Renft waren, hätte man sich auch in einem Puhdys-Konzert wähnen können. Die Parallelisierung der Schleyer- mit der Schuldirektor- Entführung sei ein „Kniff“ gewesen, den Film 97 ins Fernsehen zu kriegen, sagte der Regisseur. Deshalb habe man auch die Sprache, die da gesprochen wurde, dem heutigen Sprachgebrauch angepaßt. Niemand sagt zum Beispiel „urst“ oder „das fetzt ja“. Daß im Film, anders als in der Wirklichkeit, Jungs und Mädchen zusammen Sportunterricht hatten, sei auch aus dramaturgischen Gründen wichtig gewesen. Ansonsten bestand das Team fast ausschließlich aus Ostlern. Detlef Kuhlbrodt
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