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80 Millionäre erobern die Spiele

■ Nicht Maier, Lazutina oder Dählie werden die bleibenden Stars von Nagano sein, sondern die zur Rettung des Internationalen Olympischen Komitees angereisten Eishockey-Cracks aus USA und Kanada

Olympische Winterspiele hatten immer ein Flair von Urtümlichkeit. Eine Mischung aus hochgradigem Hinterwäldlertum, großen Portionen Biedersinn und einer altmodischen Beschaulichkeit, wie sie in anderen Sportarten längst der Vergangenheit angehört. Dralle Gebirglerinnen fegten die Pisten hinunter, hünenhafte Skandinavier stapften stumm durch den tiefverschneiten Wald, bajuwarische Rodelwürste machten die Eisrinne unsicher. Und wenn die Medaillen vergeben waren und alle ihre Gaudi gehabt hatten, waren sie ganz schnell wieder vergessen, meist sogar im eigenen Land. Ablesbar an der Wahl zu Sportlern des Jahres im folgenden Dezember.

Nur wenigen Wintersportlern gelang es, sich ewigen Ruhm zu erwerben, nur einer Handvoll, dies im Weltmaßstab zu tun. Voraussetzung: viel Gold und eine ausgeprägte Flamboyanz. Sonja Henie, Toni Sailer, Jean-Claude Killy, Katarina Witt, Alberto Tomba sind die zeitlosen olympischen Winterhelden, dem Rest, ob Rosi Mittermaier, Eric Heiden oder Ingemar Stenmark, blieb lediglich ein Plätzchen auf der Ersatzbank und im Gedächtnis ihrer jeweiligen Nation.

1998 aber ist alles anders. Auch wenn sich Hermann Maier gestern nicht per Luftsprung aus dem Abfahrtsrennen verabschiedet hätte, und selbst, wenn Björn Dählie noch ein paarmal Gold gewinnt, die Spiele von Nagano werden als die Spiele der National Hockey League (NHL) in die Geschichte eingehen. Diesmal hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Helden gleich im Rudel herbeigekarrt: 80 Millionäre aus der stärksten Eishockey-Liga der Welt, die dem winterlichen Olympia eine neue Dimension verleihen. Anders als ihre Basketball- Kollegen in Barcelona und Atlanta fühlen sich die Eishockey-Cracks sogar als waschechte Olympioniken. Sie wohnen im Olympischen Dorf, gehen zu Eiskunstlauf oder Frauen-Eishockey und versuchen angestrengt, alles „phantastisch“ zu finden und einen bescheidenen Eindruck zu machen.

Der Stern von Leuten wie Toni Sailer oder Katarina Witt ging während der Spiele in Cortina bzw. Sarajewo auf, wo sie sich durch ihre sportlichen Leistungen und ihr Auftreten im Laufe der Wettkämpfe aus der Masse der Athleten heraushoben. Die NHL-Stars hingegen hat das IOC fertig eingekauft. Instant-Helden zum sofortigen Gebrauch.

Als das kanadische Team am Bahnhof von Nagano eintraf, wartete dort eine riesige Menschenmenge, und die Spieler waren völlig baff, wie gut sich die Japaner in ihrem Sport auskannten. „Sie wußten unsere Namen und hatten jede Menge Hockey-Cards“, staunte Verteidiger Ray Bourque. Die bunten Kärtchen mit den Spielerfotos gibt es am kräftig umlagerten NHL-Stand vor der Eishalle Big Hat, wo man auch für lumpige 3.000 Mark Wayne-Gretzky-Trikots mit echtem Autogramm kaufen kann.

Um mit den Eishockey-Heroen renommieren zu können, hat das IOC sogar mit seinen eisernsten Regeln gebrochen. Normalerweise werden im olympischen Umkreis nur Unternehmen geduldet, die zum exklusiven Kreis der offiziellen Olympia-Sponsoren zählen. So mußte die Kette, die das Restaurant im Pressezentrum betreibt, ihren Namen fein säuberlich von Servietten, Geschirr, Kellneruniformen und Speisekarten tilgen, weil für den Bereich Essen beim IOC McDonald's zuständig ist. Die NHL aber ist die einzige „fremde“ Firma, die auf olympischem Boden geduldet wird, und kann im Gegenzug für die Abstellung ihrer Spieler ordentlich die Werbetrommel für sich und ihre Merchandising-Produkte rühren.

Fast täglich gibt das kanadische Team Pressekonferenzen, und natürlich werden die anderen Athleten, vielleicht abgesehen von Alberto Tomba, in den Schatten gestellt. Wer interessiert sich schon für Dählie, Lazutina oder Seizinger, wenn Wayne Gretzky hofhält, der, kaum erschienen, sofort in einem immensen Pulk von Journalisten verschwindet. Hinzu kommt, daß die NHL-Stars globale Helden sind, und dies nicht nur, weil sie sich auf acht Teams verteilen. Während beim Rodeln die deutschen Journalisten unter sich sind, beim Langlauf Norweger und Russen und beim alpinen Skifahren ein paar Alpenländer (plus USA, die überall sind), interessiert sich für die Eishockey-Spieler jeder. Allen voran die Japaner, denen über Eric Lindros allenfalls noch Shimizu, Ogiwara und Funaki gehen.

Die Frage ist natürlich: Muß das sein? Und wie beim Basketball- Dream-Team sind die Antworten dieselben. Die Besten sollen bei Olympia antreten, sagen die einen, laßt die College-Kids spielen, damit die auch mal ein großes Erlebnis haben, meint zum Beispiel Brett Hull, Torjäger der St. Louis Blues und des US-Teams. Doch wer käme schon auf die Idee, Katja Seizinger zu Hause zu lassen und dafür aus philanthropischen Gründen die niedersächsische Landesmeisterin nach Olympia zu schicken?

Ebensowenig macht es Sinn, die Spiele künstlich langweilig zu halten, damit ein wenig mehr Rampenlicht für solche antiquierten Sportarten wie Biathlon, Eisschnellauf oder Rodeln abfällt. Die Zukunft gehört nun mal den aktionsgeladenen Disziplinen wie Snowboard, Freestyle, Short Track oder eben Eishockey auf NHL-Niveau. Auch das Millionärsargument zieht kaum noch, seit selbst Gunda Niemann anfängt, aus Gold Geld zu machen.

Für das IOC und dessen Präsidenten Samaranch ist die Sache ohnehin schon lange klar. Olympisch wird, was Kohle und Prestige bringt. Beides erfüllt der Auftritt der NHL-Stars in Perfektion. Und so werden die Winterspiele von Nagano nicht als diejenigen im Gedächtnis bleiben, bei denen Georg Hackl sein drittes Gold und Björn Dählie sein wer weiß wie vieltes gewann, sondern als die Winterspiele, bei denen Wayne Gretzky so lieb gelächelt hat. Matti Lieske, Nagano

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