■ Schlagloch: "Kotze statt Kacke" Von Friedrich Küppersbusch
Zwei Knaben machten einen Jokus / und tranken Most im Keller. / Dann schrieben beide für den „Focus“, / jedoch der Most war schneller.
Richtig interessant am dieswöchigen Focus ist die Story des Kriminalbeamten, der in einem Porno mitgespielt haben soll. Auch wenn die Redaktion die Chance ausläßt, ihren Chef bei dieser Gelegenheit aus seinem Erfahrungsschatz als Schmierlapp-Kleindarsteller berichten zu lassen. Statt dessen geht es im Heft ausweislich des Titels um „Deutschland, Deine Richter“. Die seien „Im Zweifel für den Täter?“, und wegen „Haftverschonung, Milderungsgründen, Sozialgutachten“ verlören die Bürger das Vertrauen in die Strafjustiz.
Drinnen im Heft gibt's zunächst mal eine in jeder Hinsicht einseitige Buntstiftarbeit, die eine erschöpft darniedergesunkene Justitia zu Füßen eines graumelierten Richters zeigt. Der sieht nach Opa aus der Mon-Chérie-Reklame aus und wedelt mit einem Zettel: „Freispruch“. Und dann geht's los: Die „Mode der Milde“ sei zu geißeln, und alle machen mit: „Kinder- und Frauenschänder“, ohne die das Blatt ja eh oft nicht wüßte, wie es Drecksbildchen halbwegs journalistisch verbrämt abdrucken könnte. „Ein wegen Mordversuchs verurteilter Afrikaner“ darf im Aufsatz frei rumlaufen, und: In Frankfurt müssen Polizisten im Kot von Rauschgiftkurieren stochern, weil ein Gericht den Einsatz von Brechmitteln verbot.
Okay. Bis hierhin also ein überzeugender Beitrag zur Versachlichung der leidigen Debatte, dem einzig die passende Überschrift abgeht: „Focus fordert Humanisierung der Polizeiarbeit: Kotze statt Kacke!“ Dann goebbelt es noch neun Druckseiten lang weiter, Herrenmode, Bausparkasse und Fotokopierer inserieren groß dazwischen, und fertig ist die Strecke. Hält man den Autoren zugute, daß sie einen Milieuschaden haben, also beim Focus schreiben, kann man durchgehen lassen, daß sie das Wort „Kriminalstatistik“ gar nicht erst in den Mund nehmen. Die Rolle des Journalismus erwähnen sie in keiner Silbe, während sie auf Umfrageergebnissen rumreiten: Hier könnte ein Milderungsgrund sein, daß sie halt mit Journalismus nix zu tun haben. Daß das Massenphänomen Steuerkriminalität gar nicht vorkommt, mag ein klassischer Verbotsirrtum sein: Für die Kundschaft einschlägiger Focus- Reports über ganz egale Tricks ist diese Form der organisierten Kriminalität eh nur eine milieugerechte Straftat.
Folgt man aber der Suggestion des Beitrags und verhängt ein Urteil ohne jede Rücksicht, so nur dieses: unbewiesene, anonyme Beispiele; Umfrage statt Fakten; Goebbels-Rhetorik („ein Richter erfreut einen Rauschgiftkurier mit 18 Monaten auf Bewährung“); ein übel beleumundeter Kronzeuge (FDP-Rechtsaußen Alexander von Stahl); ein „keineswegs als Scharfmacher verdächtiger“ CDU-Jurist Horst Eylmann (der noch heute ganz entspannt die komplette Streichung des Asylrechts fordert); und 23 Bildchen. Kurz: ein Mumpitz.
Nein. Man isses pappsatt, sich über die billige Inanspruchnahme dieses Themas noch aufzuregen. Im angehängten Doppelinterview serviert der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes das ganze Konvolut mit handgestoppten sieben Worten ab: „Ich halte das für eine aufgeputschte Aufregung“, und mehr ist nicht zu sagen. Außer vielleicht, daß der Mann es bei dieser ausreichenden Äußerung hätte belassen sollen.
Hätte die Bundesregierung eine seit drei Jahren stabile Arbeitslosenstatistik, im letzten Jahr sogar leicht rückläufig, zu präsentieren – der Jubel dröhnte unerträglich. Tatsächlich hat Kanther eine seit drei Jahren stabile Kriminalstatistik vorzuweisen, im letzten Jahr leicht rückläufig: „80 Prozent mehr Ecstasy-Fälle“, verlautete statt dessen ein winziges Detail aus dem Innenministerium, und alle druckten es nach. Wollte die Bundesregierung die Kriminalität bekämpfen, würde sie auf das Wort der Polizeipraktiker hören, die bis zu 50 Prozent der Alltagskriminalität (Ladendiebstahl, Diebstahl von oder aus Autos, Handtaschendiebstahl) als Folge einer falschen Drogenpolitik definieren. Wollte man eine sachliche Debatte, wiese man darauf hin, daß die Kriminal- eine reine Verdachtsstatistik ist. Wollte die Bundesregierung eine vernünftige Einschätzung der Gefahrenlage, müßte sie beschwichtigen, daß die Zahl der Sexualverbrechen in den 60ern allein in der Bundesrepublik deutlich höher lag als heute in Gesamtdeutschland. Wollte die Bundesregierung Strafe und Sühne dort, wo der Gesellschaft systematisch massiver Schaden zugefügt wird, würde sie den Begriff der „organisierten Kriminalität“ mal im Zusammenhang mit allein 11.000 Steuerhinterziehungsfällen bei der Dresdner Bank ausprobieren.
Daß sie all dies ignoriert, unterschlägt, ins Gegenteil verdreht, ist nicht neu. Sie bekämpft die Kriminalität nicht, sondern braucht sie: wie die Fliegen das, worin Frankfurter Polizisten nicht mehr rumstochern sollen.
Bei den Medien, die das mitspielen, vorspielen, muß nicht zwangsläufig dunkle Strategie unterstellt werden. Im Gegenteil, wer hier gleich eine gesteuerte Kampagne hineingeheimnist, macht vielleicht den gleichen Fehler wie sie, die aus ein paar verdrehten Zahlen den Weltuntergang zusammenpfuschen. Zunächst und vor allem anderen verkauft sich das gut. Sonst wäre die Bild nicht täglich mit Follow-up-Geschichten zum Focus- Titel am Start: „Haben unsere Richter zuviel Spielraum?“ am Montag; „Im Namen aller Bürger sagt Bild der Polizei: DANKE!“ am Dienstag. Letzteres eine Anmaßung, die neben Medien und Politikern endlich die dritte Kraft ins Spiel bringt: die Bürger.
Die Bürger tauchen in der Debatte nur noch in ihrem minderen Aggregatzustand als Umfrageteilnehmer auf. Als solche finden sie zu 92 Prozent die Justiz zu lasch. Respektive haben sie in der Zeitung gelesen, daß das so sei, und stimmen dem auf Rückfrage eben jener Zeitung zu. Respektive der Glaser schmeißt die Scheiben ein und brüllt: Da müssen neue rein. Der vom Focus in denselben des Themas gerückte Schutz der Opfer findet tatsächlich nicht statt: Die Deutschen sind zur Zeit Opfer, jawoll, Opfer einer Sinnestrübung. Die Täter handeln, auch wenn das wieder eine scheißliberale Strafminderung ist, nicht voll schuldhaft, sondern eher grob fahrlässig: Geile Geschichten wollen sie schreiben, die abgehen, und blöde altbackene Rücksichtnahmen schrägen. Auch den politischen Tätern ist die Gnade einer differenzierten Betrachtung angedeihen zu lassen: „Auf Druck der Medien“ habe sich Voscherau zu seiner Justizschelte hinreißen lassen, streuten liberalere Sozialdemokraten nach der gefloppten Wahl. Gerhard Schröders Neigung zur Law-&-Order-Tradition der SPD findet ihre Würdigung in diesbezüglich aufgeschlossenen Medien. Opfer, so schließt der Illustriertenbeitrag, das seien die Leute, die sich nicht mehr auf die Straße oder in den Urlaub trauten. Und weiter: Die Grundrechte dieser Opfer hätten offenbar in Deutschland minderen Rang. Dem ist abschließend zuzustimmen.
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