piwik no script img

Das Böse lauert hinterm Tannenbaum

■ Robert Altmans „The Gingerbread Man“: Nicht mehr als ein konventioneller Grisham

Ja, sind wir denn das Internationale Fimfestival von Posemuckel? Der heute im Wettbewerb laufende neue Robert-Altmann-Film „The Gingerbread Man“ jedenfalls wird weder Herrn Altman noch seinen Hauptdarsteller Kenneth Branagh oder sonstiges, weniger Starappeal ausstrahlendes Filmpersonal nach Berlin bringen. Armer Moritz de Hadeln! Arme Weltpresse! Die Pressekonferenz zum Film jedenfalls fällt aus. Wenn jetzt noch Robert De Niro seinen auch erst Samstag erwarteten Flieger verpaßt...

Altmans Film, ein düsterer Thriller in irgendwie gewollt wirkender Film-Noir-Manier (wer erschrickt heutzutage noch bei gekreuzigten Jesusgerippen, die sinnlos in Bäumen rumhängen?), basiert auf einem Grisham-Roman, von dem auf der Berlinale übrigens noch ein Buch verfilmt vorliegt. Erfolgsautor Grisham ist nicht gerade bekannt für komplizierte Stoffe, sondern vor allem für kommerzielen Erfolg. Nach Altmans Meisterwerk „Short Cuts“ und dessen Remix als Modeshow-Movie „Prêt-à-Porter“ hätte man eine Weiterentwicklung der Auflösung und Verschachtelung narrativer Strukturen erwartet. Statt dessen steuert Altman back to the roots. Statt die konsequente Weiterverfolgung der „Short Cuts“-Cut-Up- Technik zelebriert er eine Verfolgungsjagd durch psychologische Irrgärtchen, denen die Verwirrten aber dank eines feuerroten Mercedes-300-SL-Sportcoupés pfeilschnell entrinnen. Wenn Tarantinos „Jackie Brown“ nicht tarantinesk genug ist (wie Kritiker meinten), dann ist Altman eben nicht, öhm, altmanisch genug. Wenigstens muß er sich in Berlin dafür nicht rechtfertigen.

Raser Kenneth Branagh, hauptberuflich Ankläger bei Gericht, gerät ins Bett einer fremden Frau. Wenn wir den Wandpropeller ihrer Klimaanlage rotieren sehen, ahnen wir schon: Dieser one-night stand muß moraltechnisch hochgekocht und freudianisch abgestraft werden. Wo in Amerika Sittenverfall lauert, da liegt das Böse gleich hinter der nächsten, ach so harmlos scheinenden Gartenziertanne. Kunstvoll dreht Altman die Wattzahlen in den Scheinwerfern runter. Doch der Grisham-Horror will nicht so ganz zünden. Deshalb muß Branaghs Gespielin einen irre gefährlichen Vater haben, der sie tüchtig bedroht (Mißbrauch is watching you). Der Finsterling sieht aus wie der Unabomber Kaczynski, bricht aus dem Psychoknast aus und ... Eigentlich geht's um Grundstücksgeschäfte, der Film ist quasi im Subplot extrem maklerkritisch. Wenigstens fügt Altman dem Genre mordende Frau Neues hinzu: Es stirbt sich recht hübsch, wenn einem unter Wasser eine Leuchtrakete im Bauch explodiert. Andreas Becker

Wettbewerb (außer Konkurrenz): heute, 22.30 Uhr, Zoo-Palast; 21.2., 15 Uhr, Royal Palast; 23.30 Uhr, Urania

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen