piwik no script img

Im Namen der Wahrheit

■ Exclusiver Club koreanischer Filmemacher: „Independent Film“ und „Timeless Bottomless“

Der Film „muß provokativ werden und wenn er uns am Ende zersplittert“, fordert eine Regisseurin. „Äh, ich hoffe, der Film wird noch etwas unterhaltsamer“, sagt ein anderer. Ein dritter bittet, daß der Film „unsere Herzen erwärmen“ möge. Hong Hyung-Sooks Dokumentarfilm „On-Line: An Inside View of Korean Independent Film“ beginnt mit den Erwartungen der porträtierten Regisseure und läßt den Zuschauer so elegant von selbst auf die Frage kommen: Was eint unabhängige Filmemacher in Korea?

Die unabhängige Filmbewegung in Korea entstand gleichzeitig mit der Demokratiebewegung. Nach dem Massaker in Kwangju 1980 und der Wahl von General Chun Doo Hwan zum Staatspräsidenten gründeten Studenten in Seoul den Cineclub „Yallasung“, aus dem zwei Jahre später das „Seoul Film Collective“ hervorging. „Die 80er Jahre waren eine schreckliche Zeit,“ sagt einer der Regisseure, „Studenten durften nicht studieren und auch keine guten Filme sehen.“ Hong zeigt Ausschnitte aus Filmen, die in dieser Zeit entstanden: Dokumentarfilme wie Kim Dong-Wons „Sangkye-Dong Olympics“ über einen Slum in Seoul, der für die Olympischen Spiele rücksichtslos geräumt wurde oder „On the Eve of the Strike“ — ein Film über Arbeiter, die heroisch und mit dem Hammer in der erhobenen Faust losstürmen.

In den 90ern führt die Verbindung von politischem Aktivismus und Filmemachen zum Streit über die Frage, was Independent Film eigentlich ist. Ein Treffen unabhängiger Produzenten, die eigentlich eine Dachorganisation gründen wollen, endet in einer hitzigen Debatte. So viel wird schnell klar: Eine Dachorganisation wird es so bald nicht geben. „Es geht darum, wie man sich als Aktivist ausdrückt“, sagt Byung Youg-Joo, die Regisseurin von „Leise Stimmen“. Wer keine sozialen oder politische Themen behandelt ist nicht „independent“. „Die sollen sich anders nennen: Kunstfilm meinetwegen“, sagt Byung Young-Joo.

Dieser Dogmatismus, der sich nach der Vorstellung des Films im Arsenal bei der Diskussion fortsetzt, war mir ziemlich unsympathisch. „Independent Film“ scheint ein ziemlich exklusiver Club zu sein. Andererseits sieht man in „On-Line“ mehrmals, wie Filme beschlagnahmt und Regisseure verhaftet werden. So verleihen die äußeren Umstände ganz von selbst Exklusivität.

Jang Sunwoos „Timeless Bottomless Bad Movie“ hatte ebenfalls Probleme mit der Zensur. Der Film ist in Zusammenarbeit mit jugendlichen drop-outs und Obdachenlosen entstanden. Gleich zu Beginn des Films weist Jang Sunwoo jede Verantwortung von sich: „There is no set scenario, no set actors, no set direction... There is nothing set.“ Die Jugendlichen haben eigene Erfahrungen zu kleinen Geschichten verarbeitet, die sie dann auch selbst spielen. Es gibt einige unglaublich brutale Szenen, etwa wenn ein Betrunkener zusammengeschlagen oder ein Mädchen vergewaltigt wird. Was wirklich und was gespielt ist, läßt sich nicht auseinanderhalten: Im Namen der Wahrheit. Gerade so gut könnte man Snuffilme zur Wahrheit hochjubeln. Besonders widerlich ist in diesem Fall weniger, was dem Zuschauer zugemutet wird, als was die Jugendlichen sich selbst zumuten. Es ist unvorstellbar, daß sie so weit gegangen wären, wenn sie dem Regisseur nicht vertraut hätten. „Kotzt dich das nicht allmählich an“, fragt einer der Jungen nach der Vergewaltigung den Regisseur. Schon lange, möchte man darauf antworten. Anja Seeliger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen