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„Mit 30 wieder leben können“

Als 15jährige wurde Christine schwanger. Schule und Ausbildung mußte sie unterbrechen. Nun hofft sie auf Unternehmungen mit ihrer Tochter, wenn die einmal Teenager sein wird  ■ Von Kerstin Marx

Wenn Christine und Jacqueline zusammen U-Bahn fahren, passiert es öfter, daß die Leute etwas Nettes sagen – über die dreijährige Jacqueline, über ihre langen Wimpern und die großen blauen Augen. Die hat sie eigentlich von Oliver, dem Vater. Aber Christine überkommt dann trotzdem immer ein bißchen Mutterstolz.

Christine war 15, als sie schwanger wurde – geplant, denn eigentlich „habe ich Kinder schon immer gemocht“. Als die junge Frau ein halbes Jahr mit dem damals 18jährigen Oliver zusammen war, hätten beide ein Baby gewollt. Zunächst erzählten sie niemandem davon – schon gar nicht Christines Eltern, die geschieden sind.

Die 15jährige hatte Angst, daß Mutter oder Vater sie zu einer Abtreibung zwingen könnten. Und als die Eltern von der Schwangerschaft erfuhren, seien sie „auch wirklich ausgerastet“. Mittlerweile hätten sie sich an ihre Oma- und Opa-Rolle gewöhnt – obwohl Christines Mutter anfangs so fürsorglich gewesen sei, als wäre das Neugeborene ihr eigenes Kind. „Auch jetzt mischt sie sich zu oft in die Erziehung ein“, meint die heute 19jährige Christine und verdreht ein wenig die Augen.

Seit fast einem Jahr lebt Christine mit Jacqueline in einer eigenen Zweizimmerwohnung. Ihr Geld bekommt sie vom Sozialamt. Bei ihrer Mutter im Tiergarten ist die junge Frau ausgezogen, als sie im sechsten Monat schwanger war. Damals sei ihr klar gewesen, daß sie niemandem zur Last fallen wolle. Und daß sich zu Hause keiner um ein Baby kümmern könne. Christine war Schülerin, die Mutter arbeitet tagsüber.

Die junge Frau zog in das Mutter-Kind-Haus des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks in Steglitz. Dorthin hatte sie das Jugendamt vermittelt. Bei Pro Familia habe man ihr zu Beginn der Schwangerschaft gesagt, daß junge Mütter in solchen Projekten den Alltag selbständig meistern können. Heute ist sich Christine sicher, daß es „draußen“ nicht besser, sondern eher schlechter als im Heim gelaufen wäre.

Christine spricht mit fester, ruhiger Stimme. Die gefalteten Hände nimmt sie nur auseinander, wenn sie sich eine neue Zigarette ansteckt. Der jungen Frau nimmt man ab, daß sie ihre Mutterrolle heute managen kann: Arzttermine einhalten, kochen oder Jacqueline regelmäßig baden ist wichtig. Als sie den Säugling allerdings zum ersten Mal in den Armen hielt, habe sie „gar nichts gewußt“. Im Mutter-Kind-Haus hat Christine gelernt, mit Baby und Mutterrolle umzugehen. Zusammen mit vier gleichaltrigen Frauen und deren Kindern hat sie über zwei Jahre in einer Art Wohngemeinschaft gelebt. Zwar gab es zwei Bezugspersonen, und auch zu ÄrztInnen und Behörden mußte sie nie alleine gehen. Doch für einkaufen, waschen, putzen und kochen waren die Frauen selbst verantwortlich.

Christine hat die Kinderbetreuung im Heim und den Unterricht im angegliederten Schulprojekt „Mütter lernen“ genutzt, um ihren erweiterten Hauptschulabschluß zu machen. Von der Schule war sie nach der 10. Klasse, kurz nach Jacquelines Geburt, abgegangen. Nicht nur, daß LehrerInnen und MitschülerInnen mit Unverständnis auf ihr Baby reagiert häten. Die doppelte Belastung sei einfach zu groß gewesen.

Weil Jacqueline oft krank war, mußte ihre Mutter die gerade begonnene Lehre als Technische Zeichnerin im Januar abbrechen. Aber sie will sich im Sommer erneut bewerben – laut Arbeitsamt soll es gute Chancen im Bereich Computer geben. Aus eigener Erfahrung glaubt Christine heute, daß junge Frauen eigentlich erst Kinder bekommen sollten, wenn sie ihre Ausbildung beendet und einen Job gefunden haben.

„Liebe macht blind“, meint Christine trocken und fügt hinzu, daß sich ihre Beziehung zu Oliver alsbald in Gewöhnung umgewandelt habe. Oliver hat seine Freundin oft verprügelt, als sie noch zusammen waren. Während der Schwangerschaft hat Christine ihn deswegen angezeigt, und obwohl sie die Anzeige später wieder zurückzog, hat der Staatsanwalt die Sache weiterverfolgt. „Wenn er Drogen brauchte, wußte er oft nicht richtig, was er tat“, verteidigt Christine ihren Exfreund. Trotzdem hat sie den Kontakt im letzten Jahr, als Oliver wegen anderer Delikte im Knast saß, abgebrochen.

„Als ich schwanger war, ist Oliver überall mit hingekommen, und Jacqueline war sein ein und alles“, erinnert sie sich an die Anfangszeit. Doch dann sei der junge Vater nur noch einmal im Monat aufgetaucht – und schließlich gar nicht mehr, ergänzt Christine nüchtern. „Er kann sich jetzt nicht einfach wieder in unser Leben einmischen“, wehrt die junge Mutter ab. „Papa“, sagt die kleine Jacqueline heute manchmal zu Christines neuem Freund. Trotz aller Schwierigkeiten mag Christine ihre Entscheidung für das Baby nicht bereuen. Wenn sie Gleichaltrige auf der Straße beobachtet, findet sie die oft kindisch, denkt aber andererseits: „Die leben ihr Leben noch.“ Seit sie 14 war, ist Christine abends nicht mehr ausgegangen. Sie stellt sich vor, daß sie mit 30 wieder leben könne. „Dann ist Jacqueline ein Teenager, und wir können vielleicht gemeinsam Dinge unternehmen.“

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