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Der Kob soll Normalität lernen

■ Modellprojekt zur Arbeit der Polizei in der multikulturellen Gesellschaft gestartet. Polizei soll mehr Verständnis für Ausländer entwickeln. Minderheitenorganisationen als Projektpartner

„Stellen Sie sich vor, die Bundesrepublik sei die Titanic: Sie versinkt im Meer. Die Deutschen fliehen auf eine Insel, doch die ist schon bewohnt.“ Ausgehend von diesem und ähnlichen Szenarien, sollen sich PolizistInnen künftig mit Konflikten zwischen Mehr- und Minderheiten, Eingeborenen und Eingewanderten auseinandersetzen. Das Rollenspiel ist Teil eines europaweiten Modellprojekts zur „Polizeiarbeit in einer multikulturellen Gesellschaft“, an dem seit November elf Städte aus acht Ländern teilnehmen. Deutschland ist zweimal dabei: mit Frankfurt am Main und Berlin.

„Beide Seiten müssen lernen, aufeinander zuzugehen“, betonte Barbara John, die Ausländerbeauftragte des Senats, die das Projekt koordniert. Schwierigkeiten gebe es auf beiden Seiten. Zuwanderer hätten aus ihren Heimatländern oft Bilder im Kopf, die nicht der Polizei in einem Rechtsstaat entsprechen. Der Polizei fehle häufig die soziale Nähe zu den Zuwanderern: „Das sind eben meist Deutsche.“ Schlechte Erfahrungen der Einwanderer mit der deutschen Polizei erwähnte John nicht.

Im Rahmen des Modellprojekts sollen in Berlin künftig alle 200 AnfängerInnen an der Landespolizeischule vier Tage zu minderheitenbezogenen Themen arbeiten. „Da wird es um interkulturelle Kommunikation, Diskriminierung und rechtliche Probleme der Minderheiten gehen“, so Harold Selowski, der Koordinator bei der Polizei. Manche Begriffe seien in unterschiedlichen Ländern ganz anders besetzt, verdeutlichte Emine Demirbüken vom Türkischen Bund (TBB), einer der Projektpartner, das Problem. So habe der Begriff „Respekt“ in der Türkei eine wesentlich größere Bedeutung als hierzulande. Wenn man solche Unterschiede nicht beachte, „kann das zu Konflikten führen“.

Auch 16 berufserfahrene PolizistInnen werden fortgebildet. Die Fortbildung dauert neun Tage. Zusätzlich werden Begegnungen mit Einwanderern organisiert. Außerdem werden 18 Mitglieder aus Einwanderervereinen für die Durchführung interkultureller Trainings qualifiziert. Projektpartner sind neben dem TBB das Europa-Afrika-Zentrum, die Vereinigung der Vietnamesen sowie der Polnische Sozialrat. Ein großer Batzen der 100.000 Mark, mit der die Europäische Union (EU) das Berliner Projekt finanziert, dürfte für Reisekosten draufgehen. In Wien, Kopenhagen und London finden drei internationale Workshops statt, auf denen VertreterInnen aus allen Projektstädten ihre Erfahrungen austauschen sollen. Laufzeit des Modellprojekts ist zunächst ein Jahr, wahrscheinlich wird es um ein weiteres verlängert.

Fortbildungen bei der Berliner Polizei zum Thema „Ausländer in Berlin“ sind nicht neu. Insgesamt haben etwa 2.200 der rund 20.000 VollzugsbeamtInnen in der Hauptstadt an solchen Fortbildungen bisher teilgenommen. Fritz Wittek von der zuständigen EU- Kommission hält Berlin für „eines der besten Projekte“, weil es hier bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gruppen gibt. „Hier besteht die Chance, auch dauerhaft bei allen Beteiligten Lernerfolge zu erzielen.“ Doch auch Wittek dürfte klar sein, daß in Sachen Antirassismus bei der Polizei die Teilnehmer Rotterdam und London viel weiter sind. Sabine am Orde

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