Lastruper Frohsinnigkeiten mit Musli Gashi I.

Im südoldenburgischen Flachland halten sich zugewanderte Jecken einen Kosovo-Albaner als Karnevalsprinzen und machen mit ihm mannigfaltig Politik. Unser karnevalerprobter Autor ist aus Aachen angereist, hat die Schnürsenkel eingebüßt und dem Treiben zugeschaut  ■ Aus Lastrup Bernd Müllender

Für Hermann Gerdes

Gemächlich rumpelt und pumpelt die Diesellok vor sich hin. Ein flunderflaches Land mit ausgewogen linealen Verhältnissen tut sich auf jenseits von Osnabrück: Bahndamm, Bundesstraße, Treckerspuren – alles fast kurvenfrei. Die Gehöfte größer als die Bahnhöfe. Hinter Bersenbrück kommt Quakenbrück, aber vor Cloppenburg erst noch Essen. Essen in Oldenburg. Aussteigen! Von hier sind es nur noch elf öffentlichnahverkehrsfreie Kilometer bis Lastrup. Die Erwartungen sind groß. Auswärtige hatten es schriftlich bekommen: „Die Bürger von Lastrup betreiben Integration hautnah.“ Gerade erst sei ein Türke Schützenkönig gewesen, und jetzt habe „die Narrenhochburg Lastrup“ einen leibhaftigen Kosovo-Albaner zum Karnevalsprinzen gekürt. Von Internationalität ist die Rede und von multikultureller Einstellung. Der Mann sei „ein Glücksgriff“. Sein Name: Prinz Musli Gashi I.

Schnippschnapp: In Lastrup sind erstmal die Schnürsenkel futsch. Donnerstag ist's, da herrschen die Hexen und schneiden „alles ab, was baumelt“. Ein gutes Dutzend geschmackvoll häßlicher Weiber im reifen Mittelalter fegt herum, blockiert singend wie saufend die Straßen. Reichlich Wegezoll gilt es den Männern abzupressen. Denn am Abend zum Hexenball ist ein richtiger Stripper engagiert. Der kostet 500 Mark. Männern ist jeglicher Zutritt versagt. Wie schade! „Keine Ausnahmen“, sagt Oberhexe Dorothea.

Selbst der Prinz, der das Narrenvolk regiert, darf da nicht hin. Gashi I. ist 40 Jahre alt und seit 1990 in Lastrup. Am Nachmittag steht der Seniorenball im großen Festzelt an. Gashi präsentiert sein Motto: „Es ist die schönste Zeit im Jahr, wenn regiert die Narrenschar.“ Indes darf man sich die Sitzung nicht zu romantisch vorstellen: Das Zelt steht weit draußen im zugig-kalten Gewerbegebiet, eingezwängt auf einem Schotterplatz zwischen Öllager, Klinkersteinhalden und Maschendraht-Ensembles. Die alten Leute werden busweise ausgeschüttet, hupende Autos verkeilen sich; aber drinnen ist es schön warm.

„Auf Albanisch“, erzählt uns der Moslem Gashi, „gibt es nicht mal ein Wort für Karneval.“ Als er in Lastrup landete, war der erste Sohn seiner heutigen Frau Elke gerade Kinderprinz, und so geriet Gashi bald mitten unter die Narren. Später kam seine Mutter einmal zu Besuch, sah Bilder von dieser komischen Narretei und fragte ihren Sohn, warum er freiwillig zum Militär gegangen sei. Da habe er sehr gelacht, lacht Gashi. „Ich habe ihr gesagt, ich bin der Dreisterne-General von Lastrup.“

Musli Gashi scheint ein grundnetter Mensch, sympathisch, offen, zutraulich und vertrauenerweckend. Voll engagiert und karnevalistisch längst assimiliert: Über fiese rassistische Witze, so zeigt die Seniorensitzung schnell, lacht Gashi lauthals mit. Und Gattin Elke, die praktischerweise Prinzessin wurde, bei den frauenfeindlichen. So eint Stammtischmief die Kulturen und Geschlechter.

Sitzungspräsident ist Jürgen Berger (58), Generalmanager einer Versicherung in Cloppenburg und Vorsitzender des Lastruper Karnevalvereins. Vor bald 20 Jahren war er als Gesinnungs-Rheinländer aus Köln hierher gezogen und wurde schnell zum Missionar in Helau-Angelegenheiten. Mittags noch hatte er das Gashi-Paar angewiesen, rote Rosen zu verteilen beim Einmarsch, weil man so „die Ommas später am Tanzen kricht“. Jetzt verteilen die Gashis, und Berger greift zum Saalmikrophon: „Eine tolle Idee mit den Blumen“. Tusch. Oma und Opa Lastrup applaudieren feuchtaugig.

Dann fällt aus Bergers mächtigem weißen Vollbart erstmals das Stichwort FDP. „Die älteren unter Ihnen“, ruft er der Senilenversammlung zu, „werden sich vielleicht noch an diese Partei erinnern...“ Leider lacht keiner. Gashi guckt eher indifferent.

Der Macher Berger hatte uns am Mittag auch ein wenig vom Kleinod Lastrup gezeigt: ein mächtiger Kirchturm, schon zwei bunte Ampeln, noch dreistellige Telefonnummern, vier Fußballfelder mit acht Toren, selten unter 80 Prozent CDU-Wähler und an die 5.000 Einwohner inklusive der umliegenden Bauernschaften. Ein paar Dörfer weiter ist man bei den Vollblutzuchten derer von Schockemöhle, östlich nach Vechta hin foltert die Pohlmann-Sippe millionenfach ihre Hühner. Und Lastrup ist ein deutsches Dallas: Man sitzt auf dicken Öl- und Gasblasen, überall ringsum heben und senken sich, wie ein Netz von Schiffsschaukeln, schwere eiserne Automatikpumpen. Beileibe kein armes Bauerndorf. Hier gibt es noch richtige kommunale Neubauten.

Zurück zum Promi Gashi. „Der Junge ist wirklich ein ganz netter Kerl“, sagt Hermann Gerdes. Gerdes ist der entscheidende dritte Mann im Lastruper Karneval. Der Pate im Dreigestirn. Er ist einziger FDP-Kreistagsabgeordneter in weitem Umkreis und war bis vor kurzem hauptamtlich Gemeindedirektor. Durch die Verwaltungsreform wurde er politisch wegrationalisiert. Und weil es für solch hohe Beamte keinen adäquaten Job gibt, wurde er, mit 46 Jahren, zum Frühpensionär. Seitdem schreibt er nebenher Heimatberichte und kandidiert für die Liberalen am kommenden Sonntag zur Niedersachsenwahl.

Hermann Gerdes war es auch, der die Republik mit Berichten über Gashi I. angefixt hatte, vom „Lastruper Karnevals-Aushängeschild“ gedichtet hatte, der mit Reden „in einwandfreiem Deutsch“ ein Dorf zu „multikultureller Einstellung“ gebracht habe. Gerdes, der Politiker, stellt die großen Zusammenhänge klar. Daß Cloppenburg bundesweiter Rekordkreis der CDU sei: 70 Prozent aufwärts. Manche Dörfer über 90 Prozent. Was es an Ärger gebe wegen der vielen Rußlanddeutschen in der Gegend, erzählt Gerdes, „Vorurteile, dramatische Bürgersitzungen und gewisse Eskalationen mit Messerstechereien“. Überall, nur in Lastrup nicht.

Er lächelt. „Das ist anders, wie eine Insel fast.“ Nur hier kann einer wie Gashi reüssieren. „Woanders hätte das Aufruhr gegeben.“ Ja, Lastrup! Dennoch die Frage an Lastrup: Müßte es nicht Prinz Musli I. heißen statt Gashi I.? Prinzessin Elke I. heißt ja auch Elke und sagt, „naja, Musli klänge schon komisch in deutschen Ohren“. Aber auch sie selbst sagten zu Musli Gashi. Musli Gashi sagt, das sei schon immer so gewesen und in seiner Heimat auch üblich, ein Familienname als Spitzname, selbst sein Bruder sage Gashi zu ihm, auch wenn er sich damit quasi selbst mitanrede.

Aber warum schreiben die Zeitungen über den „Zimmermann mit jugoslawischem Paß“ immer in Anführungszeichen von „Gashi I.“, manchmal auch der Karnevalsverein selbst? Naja, vermutet das jecke Paar, weil ja hier der Prinzenname der Spitzname sei und das als Familienname und nicht als Vorname ... Oder so ähnlich.

Jürgen Berger spricht gern von „unserm Kosovo-Albaner“. Und meint: „Das ist für uns kein Sport, so wie sich Düsseldorf einen schwulen Prinzen hält. Mit Gashi, das ist einfach normal.“ Und ein schöner PR-Gag!? Nein, betont Berger, Lastrup habe doch schon einen türkischen Karnevalsprinzen gehabt 1996. Der heißt Sefik Yaslar, war auch noch Schützenkönig und hat ein Restaurant namens „Athen“. Athen – ein Türke!? Sicher ein Kurde! In Lastrup! Nein, sagt Yaslar freundlich, „mein Bruder ist Grieche und hatte das Restaurant vorher“.

Hermann Gerdes, der Bote des Heimatgedankens, sagt stolz: „Ich war es ja auch, der damals die Geschichte mit dem Türken überregional gemacht hat.“ Sat.1 war da. Und dpa berichtete. Medienmäßig hat auch Musli Gashis Amtszeit denkbar dramatisch begonnen: Eine Redakteurin der Nordwest Zeitung berichtete zum 11.11.97 in großer Aufmachung vom neuen Prinzen Sefik Yaslar. „Aufgeschrien“ hätten da die Lastruper, erzählt Gerdes, sie hätten doch „längst einen anderen Ausländer als Prinz. Das mit dem Türken ist zwei Jahre her.“ Und die Schreiberin habe ihre Verwechslung „als schlimmsten Fauxpas ihres Lebens“ bezeichnet.

Die Menschen in Lastrup finden ihren Gashi soweit okay. Kein Jubel, keine Huldigungen, aber, immerhin, manche Frauen winken ihm auf der Straße zu. Die Alten im Saal nennen ihn nett und fleißig und finden ihn höchstens „naja, egal“. Einer sagt: „Soviel macht er ja gar nicht.“ Seine vom Blatt gelesene Prinzenrede kommt etwas stockend, worauf sich Funkenmariechen Anja Gashi (8) „mit Papa nicht so ganz zufrieden“ erklärte und richtigstellte: „Zu Hause hat das viel besser geklappt. Gashi war nervös!“ Nur eine der Hexen brummelt herum, Gashi sei, und das sagten viele hier, nur nicht öffentlich, halt „ein Jugoslawe“ und somit „gar kein Einheimischer“.

Fast 400 WählerInnen sind im Saal zur Senioren-Galasitzung, zu FDP-Gerdes' letztem Wahlkampfabend kamen 14 Leute. Jürgen Berger verteilt Ehrenorden. Auch Ehrengast Hermann Gerdes muß nach vorn. „Richtig prima“ habe der die Medien „heiß gemacht“, lobt Berger. Und kein anderer Lokalpolitiker sei gekommen, „nur unser Hermann“. Wird hier etwa Politik und Karneval und Geschäft und PR heimlich vermischt nach Kölscher Art?

Falsch, in Lastrup geht das ganz offen, per flammender Büttenwahlrede: „Dieser Mann hat es verdient! Und mit ihm die FDP, liebe Freunde, liebe Narren. Geben Sie ihm Ihre Stimme. Die CDU hat doch genug davon.“ Ja, Hermann Gerdes werde dafür sorgen, daß man das Festzelt auf dem Lastruper Marktplatz aufschlagen könne, was ja „diese Stadtväter“ (17 CDUler von 19 insgesamt) schändlicherweise verhinderten. „Ich hoffe, jeder hier im Saal, Hermann, wird dir seine Stimme geben!“ Einzelne klatschen. Gerdes dankt. Auch der wahlrechtslose Gashi lacht.

Ach, sagt Hermann Gerdes schließlich, „eigentlich ist das mit dem Gashi ja gar keine Geschichte, es ist höchstens nah dran.“ Ja, eigentlich ist es diskriminierend über Gashi zu schreiben. Wäre er stinknormaler südoldenburgischer Bauernsohn mit Humbtata-Ambitionen, interessierte sich keiner für ihn. Keiner für dieses Kaff Lastrup. Für seine Hexen. Für seine Bergers. Oder den Gerdes. „Im Endeffekt machen wir das erst zum Ereignis, zur Geschichte.“ Ja, Gerdes hat uns Lastrup ans Herz gelegt. Und Gashi. Und sich selbst. Aber wir haben dabei auch einiges gelernt.

Gestern, am Sonntag, sind wieder an die 30.000 Menschen zum berühmten Lastruper Umzug gekommen. Riesige Pappmaché-Wagen, bunt und grell, liebevoll üppig, lustig, kindgerecht. „Politische Sachen“, knurrt Jürgen Berger, der FDP- Wahlkämpfer und Gerdes-Protegé, habe er auch dieses Jahr nicht zugelassen: „Nur Märchen, Fabel- und Fernseh-Themen. Politik wollen wir nicht im Karneval. Da achte ich drauf.“

Ein Privattaxi fährt uns zurück nach Essen/ Oldb. Ab brummt die Diesellok. Am Aschermittwoch werden die Beichtstühle voll sein von den reuigen Augenzeuginnen des Männer- Strips. Jürgen Berger wird wieder Versicherungen zeichnen lassen. Und am Sonntag ist Wahl. Alle werden nach Hannover blicken. Und womöglich übersehen, daß Hermann Gerdes dank des Prinzen Musli „Gashi I.“ die Freie Demokratische Partei erstmals zur größten Splitterpartei von Lastrup gemacht haben könnte.