: Nordische Gewerkschaften überlegen Ikea-Boykott
■ Nach Anklagen über Kinderarbeit nun auch wegen Arbeitsverhältnissen in rumänischer Fabrik im Zwielicht. Im Winter ähnliche Vorwürfe bei Zulieferern auf Philippinen und Vietnam
Oslo (taz) – „Über einen Ikea- Boykott wird viel zu lange schon diskutiert, jetzt muß endlich etwas geschehen.“ Was nicht nur den Vorsitzenden der norwegischen Holzindustriegewerkschaft NTIF am Montag nach einem kräftigeren Vorgehen gegen Geschäftspraktiken des schwedischen Möbelriesen rufen ließ, war ein Bericht der britischen Sunday Times über die Verhältnisse in der rumänischen Möbelfabrik Magura in Codlea, in der Ikea für sich Möbel bauen läßt.
Nach den von Ikea-Informationschefin Marie-Luis Ribbnes mittlerweile im wesentlichen bestätigten Angaben der Sunday Times schuften die 900 ArbeiterInnen von Magura Codlea für einen Stundenlohn in Höhe von 70 Pfennig 44 Stunden die Woche. Die 30 Mark Wochenlohn liegen damit noch weit unter dem sowieso niedrigen rumänischen Lohnniveau, wo es ein Industriearbeiter immerhin auf durchschnittlich 200 Mark die Woche bringen kann. Die slumartigen Mietskasernen, in denen die meisten Beschäftigten wohnen, werden als gesundheitsgefährdend bezeichnet. Sie gehören ebenfalls der Möbelfabrik. Das Unternehmen kassiert für elendige sanitäre Verhältnisse und unzureichende Beheizung auch noch kräftig Miete.
Ikea meint, formal für die Arbeitsverhältnisse in Magura Codlea nicht verantwortlich zu sein. Tatsächlich stellte Ikea aber den jetzigen Eigentümern, den ehemaligen Staatsmanagern, einen Kredit zur Verfügung, damit diese die Magura-Fabrik kaufen konnten, als diese 1992 privatisiert wurde. Weit fortgeschrittene Pläne der Belegschaft, die Fabrik selbst zu übernehmen, wurden durch diesen Ikea-Schachzug sabotiert.
„Wir haben nichts dagegen, daß sich westeuropäische Firmen in Osteuropa engagieren“, so NTIF- Vorsitzender Solheim, „aber Löhne, Arbeitsverhältnisse und Gewerkschaftsrechte müssen zumindest auch für dortige Verhältnisse anständig sein.“
Die Stimmung gegen Ikea ist in skandinavischen Gewerkschafts- und KonsumentInnenkreisen derzeit sowieso nicht die beste, nachdem kürzlich eine schwedische TV-Dokumentation enthüllte, wie der Konzern systematisch auf Lieferanten setzt, die – auch – mit Kinderarbeit den Preis drücken, gleichzeitig aber jede Verantwortung dafür zurückweist. Kurz vor Weihnachten wurden im Fernsehen zwei Ikea-Partner auf den Philippinen und in Vietnam beschuldigt, Minderjährige auszubeuten. Das Möbelhaus kündigte nach den TV-Recherchen die Zusammenarbeit mit dem philippinischen Zulieferer, weil er Kinder in der Produktion von Korbmöbeln beschäftigt hatte. Bei dem vietnamesischen Keramikhersteller hingegen entspreche das Mindestalter der Arbeiter den landesüblichen Normen, teilte Ikea mit.
In zwei Wochen, bei einem Treffen aller skandinavischen Bau- und Holzgewerkschaften in Kopenhagen, soll entschieden werden, ob die nordeuropäischen VerbraucherInnen zu einem Ikea- Boykott aufgerufen werden sollen. Reinhard Wolff
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