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Zukunft abgeschafft

Volkshochschule Hamburg streicht alle Kurse für Haupt- und Realschüler. Deutsch für Ausländer ist angeblich gesichert  ■ Von Elke Spanner

„Bei uns bekommen Sie ihren Schulabschluß“, verspricht die Hamburger Volkshochschule (VHS) in ihrem Prospekt. Der kann nun eingestampft werden. Macht der VHS-Vorstand auf seiner Sitzung Anfang Mai wahr, was Leiter Rudolf Camerer gestern ankündigte, werden sämtliche Kurse zum Erwerb des Haupt- oder Realschulabschlusses ersatzlos gestrichen – und damit eine „elementare Lebenshilfe, die zukunftsschaffend ist“, wie die VHS sich selbst weiter bewirbt.

Anfang dieser Woche war bekannt geworden, daß die VHS Verluste in Höhe von rund zwei Millionen Mark auszugleichen hat. Gegen die von Camerer ausgearbeiteten Kürzungspläne waren MitarbeiterInnen des Fachbereiches „Deutsch als Fremdsprache (DAF)“Sturm gelaufen. Den Sprachkursen für MigrantInnen und Flüchtlinge sollte nämlich 20 Prozent und damit das Kursangebot für rund 1000 AusländerInnen gestrichen werden. Das sei nun vom Tisch, betonte Camerer gestern: „Der Bereich Deutsch als Fremdsprache ist von Programm-Kürzungen ausgenommen.“

Allerdings kommt es hier zu „Umstrukturierungen“, und die machen die MitarbeiterInnen weiterhin skeptisch. Denn auch bei DAF wird Geld eingespart. Es soll allerdings ausgeglichen werden durch Mittel des Mainzer „Sprachverbandes“, einer Organisation des Bundesbildungsministeriums. Der knüpft seine Zahlungen aber an enge Bedingungen. So müssen in vom Sprachverband geförderten Kursen mindestens acht TeilnehmerInnen aus festgelegten Staaten sitzen, aus EG- und den ehemaligen Anwerbeländern. Die Hauptklientel der DAF-Kurse sind hingegen Menschen aus Osteuropa, dem Iran und Afghanistan.

Die DozentInnen fürchten deshalb, daß ein Großteil der nun versprochenen Kurse wegfallen wird, weil die TeilnehmerInnen den falschen Paß haben. Der Programmbereichsleiter Fremdsprachen, Rainer Tamchina, bestätigt: „Es kann passieren, daß für Schüler aus Osteuropa weniger Plätze zur Verfügung stehen.“

Während das VHS-Angebot beispielsweise an Computerkursen unangetastet bleibt, sich Deutsche weiterhin in Englisch weiterbilden oder töpfern lernen können, ist es mit elementarer Grundbildung an der Schule für das Volk womöglich bald vorbei. Der zur VHS gehörende Verein „Röbbek“in Othmarschen sowie eine weitere Einrichtung, die Haupt- und Realschulabschlüsse anbietet, sind von Schließung akut bedroht.

Camerer versprach zwar, daß das Angebot von anderen Trägern wie dem Verein „Zebra“und der „Stiftung berufliche Bildung“aufgefangen werden könnte. Doch „viele von unseren SchülerInnen haben dort gar keine Chance“, weiß Marion Berthold, Sozialarbeiterin bei „Röbbek“. Denn bei den anderen Trägern würden nur SchülerInnen angenommen, die höchstens 25 Jahre alt seien. Zudem müßten sie über das Arbeitsamt gefördert werden.

„Wo bleibt zum Beispiel meine Mitschülerin, eine alleinerziehende Mutter, die nur halbtags zur Schule gehen kann und von Sozialhilfe lebt?“, fragte entsetzt Nina Simon, Hauptschülerin bei der VHS. Camerers Antwort: „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“

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