: Auf den Schwingungen der Oszillatoren
Die US-Band Silver Apples zählt zu den heimlichen Godfathers des Techno: 1967 nahmen sie Grundideen der elektronischen Musik vorweg. Damals gehörten sie noch zur Avantgarde – aber ihr Comeback hätten sie sich sparen können ■ Von Ulrich Gutmair
Auf der Suche nach den Godfathers des Techno machten smarte Pop-Archäologen dies- und jenseits des Kanals Mitte der Neunziger eine neue Entdeckung: die Silver Apples. Die hatten Ende der 60er zwei bemerkenswerte Platten produziert, auf denen experimentelles Trommeln mit dem rudimentären Techno-Sound von Oszillatoren fusioniert wurde.
Die Original-Scheiben verschwanden schon vor langer Zeit aus den Regalen der Secondhandshops der westlichen Hemisphäre. Doch die Wiederveröffentlichung auf einer deutschen Bootleg-CD sowie ein Tribute-Album aus England, das diverse Apples-Remakes enthielt, heizten den Retro-Hype an. Ex-Silver-Apple Simeon produzierte daraufhin kürzlich, angefeuert durch die Mini-Hausse auf europäischen Popmärkten, zusammen mit zwei jungen Musikern eine Single, erhielt darüber hinaus Angebote für Live-Auftritte und spielte auf dem eigenen Label Whirlybird Records schließlich ein ganzes Album ein.
Die amerikanische Musikpresse zeigte sich begeistert über dieses Comeback. Und verriet damit vor allem, daß Mainstream America und Alternative America gleichermaßen keine Ahnung haben, was in Detroit, London, Paris, Tokio und Berlin in Sachen Elektronik eigentlich so passiert. Denn „Beacon“, das neue Spätwerk der silbernen Äpfel, ist eine schlechte Platte, die erstens keine Ahnung des Sounduniversums der letzten Dekade hat und zweitens weit hinter den rohen, minimalistischen Sound der alten Applesproduktionen „Silver Apples“ und „Contact“ zurückfällt: Die gibt es inzwischen ebenfalls wieder auf Whirlybird Records zu kaufen, und sie sind in jedem Fall die eindeutig besseren Objekte einer Kaufentscheidung.
Gelangweilt von Gesangspausen
1967 hatten der Schlagzeuger Dan Taylor und der Vokalist Simeon noch mit einem Haufen Hippie- Gitarristen in einer New Yorker Band zusammengespielt und waren Nacht für Nacht durch lokale Clubs getingelt. Um ihr Repertoire nicht allzu schnell zu verschießen und Wiederholungen vorzubeugen, baute man endlose Gitarrensoli zwischen die Stücke. Von den psychedelischen Gesangspausen gelangweilt, brachte Simeon irgendwann den Oszillator eines Freundes auf die Bühne und spielte damit herum. Während die Gitarrenfraktion der Band die Technosounds haßte, zeigte sich Trommler Taylor begeistert. Unter dem Namen Silver Apples nahm das Duo bald seine erste Platte auf, deren Single-Auskopplung „Oscillations“ die Charts diverser amerikanischer Großstädte eroberte.
In „Oscillations“ besang Sänger Simeon elektronische Evokationen und Fluktuationen und drehte dabei an den Reglern einer nun zum Instrument gewachsenen Batterie von Oszillatoren. Die so generierten Bleeps transportierten auf maschinell klingenden, repetitiven Beats die Ideen von minimal music in die Welt des Pop. Gleichzeitig erfanden die Apples eine frühe Form von Sampling, indem sie aus dem Radio aufgenommene Polkaklänge in eigene Stücke einbauten. Damit erweiterte sich das klangliche und textuelle Hippievokabular um eine technologische Variante von Psychedelik. Rückblickend erklärt Simeon die Experimente mit elektronischen Klanggeneratoren heute mit persönlichen Präferenzen in Sachen Sound: „Wenn es sich anhört, also ob es von außerirdischen Wesen gemacht wurde, fasziniert mich das in der Regel.“
Das süße Om aus der Welt der Opiate
Knapp dreißig Jahre später nahm Steve Albini der Silver Apples dritte Platte „Beacon“ auf, hielt sich mit dem Produzieren aber mehr als zurück. So hört man kaum etwas von den ziemlich einzigartigen Klängen des nach seinem Erfinder benannten Simeons, dafür aber um so mehr von den wirklich schlimmen Alleinunterhaltersounds des neu hinzugekommenen Keyboarders Xian Hawkins. Irgendwie muß das den neuen Silver Apples wohl bewußt geworden sein: Gerade mal einen Monat nach der Veröffentlichung von „Beacon“ im Januar 98 schoben die Apples vor ein paar Tagen ein zweites Album nach, das einen einzigen Track ohne Gesang enthält und schon eher einen Begriff davon hat, wie die Apples heute klingen könnten.
„Decatur“ bringt 42 Minuten und 27 Sekunden lang pulsierende Drone Sounds mit dub-mässigen Echoeffekten, Miniloopsequenzen, afrikanische Drums und Anfängen von Melodien, die gleich wieder in der brodelnden Ursuppe an Klangereignissen versinken. Om sweet om. Wenn man die Welt der Opiate in Betracht zieht, ist das vermutlich Drogenmusik allererster Sahne – was freilich nicht weiter verwunderlich ist, wenn man Herrn Simeon einmal aus nächster Nähe gesehen hat. Tiefe Kerben im Gesicht und die Sonnenbrille auch nachts auf der Nase: So sieht (Ex-)Drogenmißbrauch über 50 aus.
Silver Apples: „Silver Apples“ (1968), „Contact“ (1969), „Beacon“ (1997), „Decator“ (1998) – alle bei Whirlybird Records, Vertrieb: Cargo UK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen