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Showdown im Duell um das rechte Profil

Die SPD-Führung wird in der Kandidatenfrage danach entscheiden, wer die besten Chancen hat, Kanzler zu werden. Und der Gradmesser dafür ist das Votum von sechs Millionen wahlberechtigten Niedersachsen  ■ Aus Bonn Markus Franz

Noch mal zaudern, noch mal abwägen? Selbst wenige Tage vor der Entscheidung? Oder sich ein Herz nehmen und als erster schreiben, was am Montag, spätestens aber am kommenden Dienstag alle schreiben: Gerhard Schröder wird Kanzlerkandidat der SPD!

Denn eigentlich scheint ja alles klar. Die SPD will „nun doch schon“ am 2. März ihren Kanzlerkandidaten bestimmen und nicht erst am 16. März, wie es Oskar Lafontaine und sein Lager ursprünglich vorgesehen hatten. Und schon titelt Bild, als sei die Kandidatenfrage entschieden: „Schröder: Sieg über Lafontaine“. Und die Nachrichtenagentur dpa meldet: „Lafontaine beugt sich Schröder“. Aber mal ehrlich: Ist es nicht vielmehr eine Frage des puren Menschenverstandes, daß die SPD keinen Tag länger warten kann, oder wie Schröder es typisch unverkrampft sagt: „Die SPD wäre ja bekloppt. Das würde kein Mensch verstehen.“

Die Sehnsucht nach einer Entscheidung ist groß, aber sorry: Wir können sie noch nicht verkünden. Wir können lediglich helfen, die Überraschung zu vermindern, wenn es am Wochenanfang doch heißen sollte: Oskar Lafontaine wird Kanzlerkandidat der SPD!

Die Kandidatenfrage ist offen, weil die SPD mitnichten darüber entscheidet, wer die Inhalte der Sozialdemokraten am besten verkörpert, wie es die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus-Maier fordert, oder wer am meisten für die konzeptionelle Arbeit und die inhaltliche Geschlossenheit der SPD getan hat. Vielmehr entscheiden die Sozialdemokraten danach, wer die besten Chancen als Kanzlerkandidat hat. Und der Gradmesser dafür ist – so unsinnig das erscheint – das Votum von 5,95 Millionen wahlberechtigten Niedersachsen.

Dabei ist offenbar immer noch nicht klar, wieviel Prozent Gerhard Schröder denn nun bekommen muß. Wer, wie neuerdings fast alle Beobachter, davon ausgeht, daß der niedersächsische Titelverteidiger sein Ergebnis von 1994 (44,3 Prozent) mindestens halten muß, hat die Rechnung ohne ihn gemacht: Bleibt er innerhalb der von ihm festgesetzten Marge von minus zwei Prozent, wird er selbstbewußt und trotzig in die Kameras gucken und sagen: Guckt euch doch mal die Ergebnisse der Landtagswahlen in den letzten Jahren an. Die Sozialdemokraten haben zwischen vier und sechs Prozent verloren. Dagegen habe ich doch wohl ein gutes Ergebnis erzielt. Oskar Lafontaine hat dagegen in den letzten Tagen andere Signale gesetzt. In Cuxhaven rief er dem Wahlvolk zu: „Bitte sorgt dafür, daß wir einen Zugewinn haben. Gerd und ich werden uns dann unterhalten, was wir mit dem Zugewinn machen.“ Ist also ohne Zugewinn für Schröder nichts drin?

Denn eins ist gewiß: Beide wollen Kandidat werden. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist aber für die meisten als Gewißheit neu. Bis vor dem Hannoveraner Parteitag im Dezember 1997 galt: Schröder wird Kanzlerkandidat. Erst nach dem Parteitag, nachdem Lafontaine die Herzen der Delegierten im Sturm erobert hatte (wieder einmal, wie in Mannheim, als er Rudolf Scharping als Parteivorsitzenden beerbte), löste Lafontaine bei Schröder das große Zittern aus. Er könne sich jetzt doch vorstellen, es zu machen, teilte Lafontaine dem niedersächsischen Ministerpräsidenten mit.

Wirkte Schröder deshalb in den darauffolgenden Wochen so nervös? Fiel seine Rede beim Wahlkampfauftakt in Hannover am 18. Januar gegenüber Lafontaine deshalb erneut so deutlich ab? Schröder räumt ein, daß er eine Zeitlang sehr nervös gewesen ist. Aber, so versichert er, das habe allein mit dem bevorstehenden Coup der niedersächsischen Landesregierung zu tun gehabt, die Preussag Stahl AG zu kaufen.

Schröder versucht, locker zu erscheinen, eben staatsmännisch. „Ich habe alles getan“, sagt er etwa. „Ich kann jetzt nur abwarten. Ich möchte nicht in Oskars Haut stecken.“ Aber der hat den Vorteil, daß er entscheiden kann. Und vieles, nur eben die Meinungsumfragen nicht, spricht für ihn. Er hat die SPD geeint, er hat sie auf einen geschlossenen inhaltlichen Kurs geführt, hat sie gegenüber der CDU positioniert, aber auch, wenn wir ehrlich sind, gegenüber Schröder. Und er hat die Gremien der SPD hinter sich.

Doch kommt es wirklich auf etwas anderes als die Meinungsumfragen an? Schröder hat für seine vermeintlichen Nachteile plausible Erklärungen. „Das Kanzleramt“, sagt er etwa, „löst viele Probleme.“ Über den Kanzlerkandidaten könne man nicht Politik machen. Soll heißen: Wenn ich erst mal der Kandidat bin, werden die Gremien um des Machtwechsels willen schon gemeinsam mit mir an einem Strick ziehen.

Das gilt auch für seine ärgsten Kritiker, die Parteilinke um Michael Müller und Detlev von Larcher, die vor 14 Tagen mit zwei Strategiepapieren eine indirekte Empfehlung für Oskar Lafontaine ausgesprochen hatten. Schröder sieht's so: Mit dieser unfairen Aktion wenige Wochen vor der Wahl in seinem Bundesland Niedersachsen hat sich die Linke selbst aus dem Spiel gebracht. Noch mal können die sich nicht erlauben, quer zu schießen.

Und die Inhalte? Oskar Lafontaine ist für ein Konzept der internationalen Zusammenarbeit bei Steuern und Abgaben, er plädiert für höhere Löhne, er steht felsenfest zum Euro, er ist für eine Ausbildungsplatzabgabe und gegen den Eurofighter. Schröder, der keine dieser Ansichten teilt, die der SPD ein linkes Profil geben, ficht das nicht an. Er ist davon überzeugt, daß die Wahlen nur über die Mitte der Wählerschaft gewonnen werden, die er wie kaum ein anderer in der SPD repräsentiert.

Und scheint ihn nicht ausgerechnet Lafontaine zu bestätigen? Auch der Parteivorsitzende betont neuerdings ausdrücklich, daß er für die „neue Mitte“ steht. Auf diese Weise distanzierte er sich von den Strategiepapieren der Parteilinken, die als Plädoyer für einen Lagerwahlkampf interpretiert wurden. Und als es darum ging, sich für das Plakatmotto beim Leipziger Parteitag „neue Politik“ oder „neue Mitte“ zu entscheiden, stimmte Lafontaine, wie Schröder, für letzteres.

Ist es also eh egal, wer Kanzlerkandidat der SPD wird? Soll doch keiner glauben, sagt Schröder, daß sich durch die Person des Kanzlers die Republik verändert.

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