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Die ungewollte Revolution

Anders als sein Berliner Kollege Heinrich August Winkler bedauert der Historiker Wolfgang J. Mommsen das Scheitern der Achtundvierziger an ihrer eigenen Revolutionsfurcht  ■ Von Ralph Bollmann

Wolfgang J. Mommsen machte sich beim Berliner Publikum keine Freunde: Als er die „relativ rückständige politische Struktur und Mentalität“ der preußischen Hauptstadt im Vormärz beklagte, murrten die Zuhörer vernehmlich. Zumal der Düsseldorfer Historiker, der für ein Jahr am Berliner Wissenschaftskolleg arbeitet, bei seinem Vortrag in der Urania am Wochenende noch weitere Breitseiten gegen den preußischen Obrigkeitsstaat abschoß, um dessen Liberalisierung sich schon sein Urgroßvater Theodor Mommsen vergeblich bemüht hatte.

Daß die revolutionäre Entwicklung in Berlin dem deutschen Südwesten ziemlich genau zwei Wochen hinterherhinkte, kann Wolfgang Mommsen auch in diesen Tagen wieder spüren. Die Zeitungen entlang dem Rhein, berichtete er, hätten seine Beiträge zum Jubiläum rund vierzehn Tage früher angefordert als die Redaktionen an der Spree.

Als seine „lieben Berliner“ nach den Schüssen auf dem Schloßplatz schließlich doch noch Barrikaden bauten, sei Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. in eine „schwere Depression“ verfallen. Wie die südwestdeutschen Herrscher mußte auch er schließlich ein liberales „Märzministerium“ berufen, für das freilich „die Liberalen aus dem Rheinland angeliefert werden mußten“. Bismarck erwog daraufhin eine Aktion zur „Rettung der Monarchie gegen den Monarchen“, für die er aber keine Bundesgenossen fand. „Hätte der Bismarck das doch wirklich versucht“, bedauerte Mommsen das Scheitern dieses Plans, „das hätte die Revolution erst richtig angeheizt.“

So viel Revolutionsbegeisterung fände zweifelsohne das Mißfallen von Mommsens Kollegen Heinrich August Winkler. Hätte sich in der Revolution die Linke durchgesetzt, so hatte der Historiker aus Anlaß des Revolutionsjubiläums verlauten lassen, dann wäre es wahrscheinlich zum großen europäischen Krieg gekommen. „Ich glaube im Gegensatz zu Winkler nicht, daß die Gefahr eines Weltkriegs bestand“, hielt Mommsen dagegen, „das ist eine Schimäre, die Winkler nur deswegen aufstellt, weil Engels sie vertreten hat.“

Daß die europäischen Visionen der Revolutionäre letztlich an den „nationalistischen Begehrlichkeiten“ der einzelnen Nationalversammlungen scheiterten, steht zwar auch für Mommsen außer Frage. Doch letztlich scheiterte die Revolution in seiner Sicht daran, daß das Bürgertum sie eigentlich gar nicht wollte. Als „ungewollte Revolution“ bezeichnete er sie daher schon im Titel seiner Gesamtdarstellung, die pünktlich zum Jubiläum erschienen ist. Mit ihren Verfassungsforderungen hätten die Liberalen die Revolution nicht herbeiführen, sondern ihr gerade zuvorkommen wollen. Die Furcht, die politische könne in eine soziale Revolution umschlagen, bezeichnete Mommsen als „Grundbefindlichkeit der Epoche“. Deshalb habe die Masse der Liberalen im revolutionären Siegestaumel des Völkerfrühlings für die, wie sie es nannten, „Schließung der Revolution“ plädiert; „die deutsche Revolution wurde abgebrochen, bevor sie richtig in Gang kam“. Trotz ihres Scheiterns ist die Revolution der 48er für Mommsen ungemein aktuell. Nicht allein weil sich das Programm von Einheit und Freiheit 1990 erfüllt hat und auch die Utopie eines „friedlichen Europa freier Nationalstaaten in greifbare Nähe gerückt“ ist. Sondern auch weil der Grundrechtskatalog der Paulskirche in Teilen fortschrittlicher gewesen sei als die Weimarer Reichsverfassung oder das Grundgesetz. In Zeiten, in denen an der Unverletzlichkeit der Wohnung oder am Recht auf kostenfreie Volksbildung gerüttelt werde, gelte es, daran zu erinnern, mit welch „harten Opfern“ diese Freiheiten erkämpft worden seien.

Obwohl Mommsen nahezu alle Aspekte der Revolution zumindest streifte, zeigte sich manch einer aus dem Publikum noch unbefriedigt. Ein Zuhörer warf Mommsen vor, „ein Vortrag von einer Stunde“ könne ein solches Thema „nicht erschöpfend analysieren“. Mommsen solle „nicht stückchenweise die Geschichte präsentieren wie eine Pizza“. Der Kritiker schloß die Aufzählung der vermeintlichen Versäumnisse mit dem Zusatz: „Das wollen wir ja nicht vergessen, Herr Professor!“ Wolfgang J. Mommsen blieb gelassen: „Das ,Herr Professor‘ können Sie ruhig einpacken, dann sparen wir Zeit.“

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