: Männersozialisation
■ betr.: „Abstoßender Privilegien pazifismus“ von Bruno Prei sendörfer, taz vom 24.2. 98
Ich kann Preisendörfers Verteidigung der Wehrpflicht bei gleichzeitiger Propagierung der Wehrdienstverweigerung zwar nachvollziehen, bezweifele aber, ob die allgemeine Wehrpflicht (die ja keine allgemeine ist, sondern eine für Männer, die hier mal wieder als Synonym für das Allgemeine stehen) die Alternative zu den durchaus berechtigten Ängsten vor den Gefahren einer Berufsarmee darstellt – solange eben die Armee nicht überhaupt abgeschafft ist.
Die allgemeine Wehrpflicht für Männer ist nicht an sich eine Sicherung gegen die Militarisierung, ebensowenig wie sie ein demokratischer Meilenstein oder eine demokratische Errungenschaft ist. Denn sonst hätte Preußen die 1814 im Zuge der sog. Preußischen Reformen eingeführte allgemeine Wehrpflicht für Männer nicht beibehalten. Diese hinderte das preußische Militär weder an der Zerschlagung der deutschen Revoluiton von 1848/49 (deren 150. Jahrestag zu feiern sich – wie immer – die politischen Repräsentanten sehr schwer tun) noch an dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 (nach dessen Sieg der preußische König in Versailles – !!! – zum deutschen Kaiser gekrönt wurde) und hinderte schon gar nicht das gesamtdeutsche Militär am Ersten Weltkrieg. Da zog ja bekannterweise – entgegen antimilitaristischer Programmatik – die deutsche Sozialdemokratie mehrheitlich mit, die keine vaterlandslosen Gesellen mehr sein wollten, wenn es um Deutschland ging (was irgendwie an gegenwärtige Haltungen zu Militäreinsätzen und zu Bundeswehrskandalen erinnert, auch wenn es heute Standort Deutschland heißt).
Preisendörfer spricht von der Bremserfunktion der Wehrpflichtigen im demokratischen Staat. Nun sind die aufgeführten Beispiele nicht aus einem demokratischen Staat, aber die Frage ist, ob nicht mit entsprechend geschürter Kriegsbegeisterung die angebliche Wehrpflichtigen-Bremse auch demokratisch gelöst werden könnte, besonders wo bei der heutigen Art der hochtechnisierten Kriegsführung die Wehrpflichtigen gar nicht eingesetzt werden müßten.
Vielleicht hat Wehrpflicht eine ganz andere Funktion, die nicht zur Demokratisierung der Armee in einer demokratischen Gesellschaft führt, sondern umgekehrt fraglose Unterordnung, sinnlose Disziplin und Männlichkeitswahn in der Gesellschaft dadurch aufrecht erhält, daß – wenn glücklicherweise auch nicht mehr vollständig – immer wieder 18jährige junge Männer in die dumpfe Militärmaschinerie einbezogen werden. Die Sozialisationsfunktion dieser Einbeziehung wird von den linken Diskutanten der „Alternative“ Berufsarmee/Wehrpflicht nie gesehen. Es wäre aber wichtig zu analysieren, was diese einjährige weitgehende Isolierung in einem totalen Männerbund (...) mit jungen Männern anstellt, die nicht unbedingt militaristisch eingestellt sein müssen, nur „den Bund abreißen“ wollen. Diese Männersozialisation halte ich für gefährlich, weil sie neben der genannten Unterordnung und der Ausschaltung selbständigen Denkens bewirkt, daß Gewalt, Härte, Kampf und Durchhalten (auch beim Saufen) mit einem Ideal von Männlichkeit verbunden werden, ideologisch verbrämt in einer Rolle des Beschützers von Vaterland, Weib und Kind.
Auch wenn es für viele junge Männer (möglicherweise für die meisten) nicht der Traum ist, zum „Bund“ zu gehen, die meisten froh sind, wenn diese ätzende Zeit vorbei ist, bleibt wahrscheinlich von dieser Zeit eine ganze Menge hängen. Es wird eine spezifische Männersolidarität oder besser Männerbündelei erfahren, ausgedrückt in dem Begriff Kameradschaft, die es sonst in der Gesellschaft nicht gibt. Frauen bleiben davon ausgeschlossen, werden als das Andere, als das Untergeordnete, nämlich als das angeblich zu Beschützende erfahren, was geschlechtsspezifische und hier speziell geschlechtshierarchische Sozialisation verstärkt.
Damit kein Mißverständnis aufkommt: Die Forderung nach Frauen in der Bundeswehr lehne ich ab, da es keine Feminisierung von Gewalt, von Internalisierung gewaltsamer Hierarchien geben kann. Dies würde die Militarisierung der Gesellschaft nur vorantreiben. Doch sollte und muß der besondere Aspekt von Männersozialisation endlich Eingang in die Diskussion über Wehrpflicht finden. Monika Domke, Köln
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