Leicht gebremst Richtung Treibhaus

Senatsbericht: Nur eine neue Energiepolitik erreicht das Berliner Klimaziel von 25 Prozent CO2-Reduktion. Erfolg vor allem wegen des Zusammenbruchs Ost  ■ Von Bernhard Pötter

Berlin braucht eine radikale Wende in der Energiepolitik, um seine selbstgesteckten Ziele beim Klimaschutz zu erreichen. Das ist das Ergebnis des „Energieberichts Berlin“, den der Senat dem Abgeordnetenhaus vorgelegt hat. Trotz Entschärfungen im Vergleich zum Basis-Gutachten aus dem Jahr 1997 kommt der Bericht zu dem Schluß, daß „eine Überprüfung und Neuausrichtung der Energie- und Klimaschutzpolitik notwendig“ ist. Denn die Reduzierung des Klimakillers Kohlendioxid (CO2) um 25 Prozent sei erst zu 40 Prozent erreicht. Der Zusammenbruch der Ost-Industrie, der einen hohen Anteil an dieser Reduzierung hatte, sei vorbei und werde deshalb die Klimabilanz in Zukunft nicht mehr aufpolieren.

Auf 250 Seiten zieht die Verwaltung eine Bilanz der Energiepolitik zwischen 1990 und 1996. Ergebnis: „Das Spektrum energiepolitischer Maßnahmen in der ersten Hälfte der 90er Jahre wurde in allen energiepolitischen Handlungsfeldern erweitert.“ Insgesamt wurde der CO2-Ausstoß pro Kopf der Bevölkerung gegenüber 1990 um 11 Prozent verringert. Erreicht wurde dies durch den Ausbau der Kraft- Wärme-Kopplung vor allem in dezentralen Blockheizkraftwerken, Energieeinsparungen bei 600.000 Gebäuden mittels Heizungsumstellung und Wärmedämmung und durch einen effektiveren Umgang mit Energie in der Wirtschaft. Als weitere Pluspunkte nennt der Bericht neben der umfassenden Information der Bevölkerung die Errichtung der Solarstrombörse und die Entwicklung der Energiesparpartnerschaften zwischen Verwaltung und privaten Firmen.

Der Verbrauch von „Primärenergie“ Kohle und Öl zur Erzeugung von Strom und Wärme sank zwischen 1990 und 1995 um drei Prozent. Der Bedarf an besonders umweltbelastender Braunkohle verringerte sich um 62 Prozent, eine Folge des Zusammenbruchs Ost. Dagegen stieg der Umsatz von „sauberem“ Erdgas um 46 Prozent. Das verarbeitende Gewerbe (minus 25 Prozent) und die Privathaushalte ( minus 22 Prozent) verbrauchten weniger Energie, die Sektoren Verkehr (plus 15 Prozent) und Handel und Dienstleistungen ( plus 28 Prozent) legten rapide zu. Der öffentliche Stromverbrauch verringerte sich um 5 Prozent, allein der Strombedarf der Industrie sackte in der wirtschaftlichen Rezession um 28 Prozent ab. Der Fernwärmeverbrauch ging in den sechs Jahren um 14 Prozent zurück.

Beim CO2-Ausstoß zeigen die Statistiken ein zwiespältiges Bild. Zwar verbesserte sich die Bilanz unter anderem durch die Umstellung der Gasversorgung vom energiefressenden Stadtgas auf importiertes Erdgas und durch Umrüstung von Kraftwerken und etwa das neue extrem effiziente Heizkraftwerk Mitte der Bewag im Sommer 1997. Doch gleichzeitig machte die Politik der Bewag, Strom weniger in Berlin zu produzieren, sondern vom Umlandversorger VEAG zu kaufen, einen großen Teil der Klimaentlastungen wieder zunichte: Während durch die Verlagerung der Produktion in Berlin 300.000 Tonnen weniger CO2 in die Luft geblasen wurden, verursachte der Stromimport in Brandenburg dafür den Ausstoß von über einer Million Tonnen des Gases.

Fast die Hälfte des Reduktionspotentials liegt bei den Wohngebäuden. Bis 2010 müssen noch einmal etwa 570.000 Wohnungen, knapp ein Drittel des Bestands, saniert werden. Ob dafür Geld vorhanden ist, verschweigt der Bericht. Auch eine systematische Erfassung und Auswertung über die Wirkungen der Fördermaßnahmen gibt es nicht. Der Senat weiß also nicht, wie effektiv er das Steuergeld in den Klimaschutz investiert. Ähnlich sieht es bei den Maßnahmen in öffentlichen Gebäuden aus: „Berlin verfügt gegenwärtig über keine zentrale Erfassung und Auswertung energiewirtschaftlicher Daten“, meldet die Stadt des UN-Klimagipfels von 1995. „Eine differenzierte Darstellung der Energieverbräuche öffentlicher Einrichtungen ist gegenwärtig nicht möglich.“ Jährlich gibt das Land 500 Millionen Mark allein für Energiekosten aus – nötig wären aber eine Milliarde Mark für Investitionen für Energieeinsparungen, die Berlin aber nicht hat. Aus dieser Not sollen die „Energiesparpartnerschaften“ zwischen Staat und Privaten eine Tugend machen und CO2 und Kosten sparen – zwischen 9 und 11 Prozent der öffentlichen Ausgaben für Strom und Wärme.

Der Energieverbrauch der Industrie ist in den Jahren 1990–1996 um ein Viertel zurückgegangen. Lichtblicke beim Klimaschutz sind laut Senatsbericht die verstärkte Aufklärung in der Wirtschaft über die Ziele des Klimaschutzes und die Modellprojekte und Förderprogramme des Senats. Zaghaft kritisiert das Papier, daß die Berliner Industrie eine Selbstverpflichtung des Bundesverbandes zur Kohlendioxid-Reduktion nicht umgesetzt hat. Im Gutachten von 1997 hieß es dazu noch deutlich: Industrie und Gewerbe vermittelten den Eindruck „energiepolitischen Stillstandes“.

Die Liberalisierung des deutschen Energiemarktes könnte für die Berliner Klimapolitik negative Folgen haben, befürchtet der Senatsbericht. Wenn Strom und Gas billiger werden, steigt zwar die Wirtschaftlichkeit der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung in Blockheizkraftwerken. Gleichzeitig sinkt aber der Druck auf die Unternehmen, überhaupt in Energiesparmaßnahmen zu investieren. Auch eine „Erhöhung der Stromimporte“ sei nicht auszuschließen – eine weitere Zunahme des CO2- Ausstoßes wäre wahrscheinlich die Folge. Auch den kleinen Blockheizkraftwerken könnte es an den Kragen gehen: „Die Bestandsfähigkeit von Einspeiseregelungen für unabhängige Stromerzeuger ist derzeit kaum abzuschätzen.“

Der Verkehr macht etwa ein Viertel des Berliner Energieverbrauchs aus. Sein Energiehunger stieg entgegen dem Trend zwischen 1990 und 1995 um fast 9 Prozent. Der Hauptverursacher ist der Autoverkehr: „Die Entwicklung im Verkehrsbereich steht damit im deutlichen Konflikt zu dem Ziel des Senats, die CO2-Emission pro Kopf bis zum Jahr 2010 um mindestens ein Viertel zu senken.“ Der Senat stellt sich dabei selbst ein schlechtes Zeugnis aus: „Die geplanten Maßnahmen reichen hinsichtlich der Intensität und des Umfanges nicht aus, um die gewünschte Umweltentlastung zu erreichen.“ Eine Gegenstrategie gegen eigene Defizite – wie noch im 97er Gutachten vorgelegt – präsentiert der Senat nicht.

Bei der Information und Kommunikation zum Thema Energieeinsparung schließlich überwiegen laut Bericht die positiven Resultate: Die Öffentlichkeit sei inzwischen gut über die Notwendigkeit einer anderen Energiepolitik informiert – Probleme gibt es nur bei der Umsetzung, erkennen die Berichterstatter: „Informations- und Beratungsmaßnahmen können nur dann für sich Erfolg beanspruchen, wenn aus Worten in absehbarer Zeit Taten werden.“