piwik no script img

Alle Energien sind verbraucht

Nach dem Sturz der Militärjunta in Sierra Leone: Die nigerianische Eingreiftruppe herrscht als „großer Bruder“ über ein materiell und moralisch völlig zerstörtes Land  ■ Aus Freetown Peter Donatus

Wer ist der Herr in Sierra Leone? Nicht Ahmed Tejan Kabbah, der im März 1996 gewählte Präsident, der im Mai 1997 gestürzt wurde und nun, nach der erfolgreichen nigerianischen Militärintervention, am 10. März in sein Heimatland zurückkehren will. Nicht Johnny Paul Koroma, der Putschist vom Mai 1997, der jetzt auf der Flucht vor Nigerias Armee ist und angeblich versucht, sich, mit einem falschen Bart verkleidet, Richtung Guinea durchzuschlagen. Hätte die sierraleonische Bevölkerung heute die Wahl, würde sie wohl für Sani Abacha stimmen, eigentlich Präsident von Nigeria.

In Sierra Leones Hauptstadt Freetown ist Nigerias Armee seit dem 13. Februar, als sie die Stadt besetzte und die Koroma-Junta in die Flucht trieb, der alleinige Herr. Am Flughafen landen beständig nigerianische Soldaten, Panzer und Kampfflugzeuge. Rund um die Hauptstadt sind nigerianische Straßensperren allgegenwärtig. Wer passieren will, wird bis zum After auf Waffen durchsucht. Wenn die Soldaten nichts finden, erleichtern sie den Reisenden um umgerechnet etwa fünf Mark.

Freetown ist seit der Eroberung durch Nigeria völlig verwüstet. Die Opfer der Kämpfe gehen in die Tausende. Alimany Bakar Sankoh, Vorsitzender der kleinen Partei PDL (Demokratische Volksliga), gibt die Zahl mit zehntausend an und behauptet dazu, britische und iranische Söldner hätten Nigeria geholfen. „Iran beteiligte sich aus dem Interesse, einen islamischen Fundamentalismus in Sierra Leone zu installieren“, meint er. „Die Briten waren in Freetown, weil sie die Interessen der Diamanten- und Goldgeschäfte schützen, insbesondere die der südafrikanischen De Beers.“

Auch die nigerianische Eingreiftruppe betreibt offenbar Schmuggel mit den wertvollen Bodenschätzen. Im Slumviertel Big Wharf in Freetown bietet ein nigerianischer Soldat, der sich „IBB“ nennt – nach den Initialen eines ehemaligen nigerianischen Präsidenten –, an, Lebensmittel, Gold und Diamanten zu beschaffen. IBB tritt in Uniform auf und zeigt sogar seinen Personalausweis.

Nigeria sei Sierra Leones „großer Bruder“, lobt Okere Adams, unter Ahmed Tejan Kabbah Vizeminister für Handel und Industrie, der als einer der wenigen Politiker des früheren zivilen Regimes inzwischen nach Freetown zurückgekehrt ist. „Wir hatten lange vor dem Putsch ein Verteidigungsabkommen mit Nigeria“, erklärt er. „Nigeria hatte es gar nicht nötig, sich auf Ecomog zu berufen (die Eingreiftruppe der westafrikanischen Regionalorganisation Ecowas, auf die sich Nigeria offiziell bei seiner Intervention in Sierra Leone bezieht – d. Red.). Sie hätten einfach einmarschieren können. Heute ist General Sani Abacha unser Held und Retter. Wir sind den Nigerianern sehr dankbar. Sie haben ihr Leben gegeben, um Sierra Leone Frieden zu bringen. Beim nächsten Mal wird kein dummer Soldat mehr zum Gewehr greifen und eine demokratische Regierung stürzen. Er weiß, daß es größere Gewehre gibt, die ihn wieder hinauswerfen.“

Nigerias Soldaten zahlen für Sex mit US-Dollar

Nicht nur mit großen Gewehren sind die Nigerianer in Freetown aktiv. Im Stadtviertel Kaffubullom nahe am Flughafen leben viele Straßenkinder, die man „Bastarde“ nennt – ihre Väter sind nach Überzeugung der Bevölkerung nigerianische Soldaten, die schon seit mehreren Jahren in Sierra Leone stationiert sind. Man erzählt sich, daß die fremden Soldaten mit US-Dollar für Geschlechtsverkehr zahlen, was für junge Sierraleonerinnen höchst attraktiv ist.

Die wirtschaftliche Rolle der Nigerianer ist vor allem deshalb wichtig, weil das ökonomische Leben zusammengebrochen ist. Schon vor den Kämpfen im Februar litt die Bevölkerung unter den von Nigeria überwachten Wirtschaftssanktionen gegen die Junta. Banken, Regierungsstellen und die meisten Geschäfte sind nun schon seit Wochen geschlossen. Einige Märkte sind wieder in Betrieb, aber die Preise sind astronomisch. Nach UN-Angaben fliehen jeden Tag tausend Menschen aus Sierra Leone ins benachbarte Liberia, weil sie in ihrer Heimat nichts mehr zu essen kaufen können. Ein erstes Schiff mit 800 Tonnen Lebensmitteln lief vergangene Woche im Hafen von Freetown ein – aber die Hafenanlagen sind weitgehend zerstört, und so kann die humanitäre Hilfe nur unter größten Mühen entladen werden.

Klar ist, daß Nigeria über seine Führung der Eingreiftruppe Ecomog eine wichtige Rolle in Sierra Leone behalten wird. „Als erstes werden wir Ecomog bitten, uns beim Aufbau einer Berufsarmee zu helfen – einer Armee, die gegenüber einer demokratischen Regierung loyal und verantwortlich ist“, sagt der ehemalige und nach eigenen Vorstellungen auch zukünftige Vizeminister Adams. „Wir haben Milliarden für die Verteidigung ausgegeben, um dann zu entdecken, daß die Milliarden in den Sand gesetzt waren, weil die Armee sich entschied, ihr Privatinteresse anstelle des Interesses der Steuerzahler zu verteidigen. Wir brauchen eine neue Gruppe von Leuten, die wir Armee nennen können. Was wir heute haben, ist keine Armee.“

Aber was geschieht dann mit der alten Armee? Nigeria kontrolliert Sierra Leone nur zum Teil. Neben Freetown hat sie inzwischen zwar auch die zwei anderen großen Städte des Landes, Bo und Kenema, erobert. Doch auf dem Land herrschen weiter die Anhänger der gestürzten Militärjunta aus der alten Armee zusammen mit der früheren Rebellenbewegung RUF („Vereinigte Revolutionäre Front“), die mit Koromahs Putschisten verbündet war. Die RUF- Rebellen sind wieder zum Buschkrieg zurückgekehrt und kontrollieren die Mehrheit der Dörfer, weitab von den großen Straßen. Sie töten, verstümmeln, vergewaltigen und bestehlen jeden, der ihnen dort zu nahe kommt.

Die Rebellen kennen jede Ecke Sierra Leones – anders als die nigerianische Armee. So ist nun ein lang andauernder brutaler Guerillakrieg zu befürchten. Um damit fertig zu werden, setzt die Eingreiftruppe auf lokale Jägermilizen namens „Kamajor“, die schon zu Zeiten des Präsidenten Kabbah gegen die RUF kämpften. Die Kamajors sind von einer traditionellen Miliz zu einer hochgerüsteten Truppe verwandelt worden. Sie gehören hauptsächlich der Temne-Ethnie von Kabbah an, und man wirft ihnen vor, Mitglieder anderer Ethnien zu verfolgen.

Die Junta-Anhänger kämpfen jetzt im Busch

So droht nun in dem verwüsteten Diamantenparadies auch noch ein ethnischer Krieg. Dabei wären die Chancen für eine Versöhnung möglicherweise günstig, denn die Junta von Johnny Paul Koroma verspielte in ihren neun Monaten Herrschaft viel Kredit. Morde, Verhaftungen und Plünderungen gehörten zur Tagesordnung. Die Bevölkerung reagierte auf den Staatsterror immer wieder mit Arbeitsniederlegungen und zivilem Ungehorsam. Zwar waren die Vorwürfe der Putschisten gegen die Vorgängerregierung Kabbah – unter anderem Förderung von Milizen, Korruption und Unterdrückung der Zivilgesellschaft – zum Teil korrekt, aber in den Augen der Bevölkerung rechtfertigten sie keinen Putsch. „Meiner Meinung nach waren die angegebenen Gründe für den Staatsstreich lächerlich“, sagt ein 24jähriger Studentenführer in Freetown. „Die Putschisten fühlten sich von der Macht ausgeschlossen und wollten Zugang zu einem Teil des Kuchens.“

Frieden oder neuer Bürgerkrieg – die unmittelbare Zukunft Sierra Leones ist heute schwer zu beurteilen. Nicht alle Mitglieder der früheren Regierung von Ahmed Tejan Kabbah sind so zuversichtlich wie Okere Adams. „Keiner der Minister ist sicher, ob er Minister bleiben wird, wenn Präsident Kabbah irgendwann zurückkehrt“, sagt Kabbahs einstige Familienministerin, offiziell zuständig für „Kinder- und Geschlechtsangelegenheiten“, Amy Smythe, die noch immer im Exil in Ghana lebt. „Ich hoffe, daß der Präsident ehrliche Leute finden wird, die zusammen mit ihm den Weg nach vorn beschreiten.“ Zu sich selber sagt sie etwas, was wohl dem Gefühl der Bevölkerungsmehrheit in Sierra Leone entspricht: „Ich bin völlig desillusioniert. Ich habe keine Energie mehr, keine Visionen. Die Ereignisse waren so unmenschlich, daß ich kaum etwas dazu sagen kann. Ich werde mich in meine Ecke zurückziehen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen