piwik no script img

Fanatiker geben sich als normale Volkspartei

■ In Indien steht die Hindu-Partei BJP kurz vor der Machtübernahme. Ihr Charakter ist strittig

Delhi (taz) – Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren steht die Bharatiya Janata Partei – die Indische Volkspartei – kurz vor der Machtübernahme in Indien. Und zum zweiten Mal droht sie kurz vor dem Ziel zu straucheln. Bei beiden Parlamentswahlen wurde sie als größte Fraktion ins Parlament gewählt. Doch sie könnte erneut daran scheitern, daß ihr für eine Mehrheit die Koalitionspartner fehlen. Für viele Parteien ist die BJP nach wie vor eine „Unberührbare“ – für eine Partei, in der die sozial höheren Kasten dominierten, eine besonders schmerzhafte Qualifikation.

1996 regierte die BJP ganze 13 Tage, doch mußte Premierminister Atal Behari Vajpayee das Mandat an den Präsidenten zurückgeben, weil er keine Mehrheit hinter sich scharen konnte. Für die Kommunisten und die durch die Kongreßpartei repräsentierte Sozialdemokratie verbirgt sich hinter der BJP immer noch eine Gruppierung, die von einer religiös inspirierten Hindu-Kultur träumt und deren Hauptkriterium die Ablehnung religiöser Minderheiten ist.

Die BJP hat sich diesen Ruf selbst zuzuschreiben. Sie hat ihn nach ihrer Neubenennung im Jahr 1980 sogar eifrig gepflegt und von ihm profitiert. Als sie 1984 erstmals unter diesem Namen zu den Wahlen antrat, gewann sie nur zwei Sitze. Der damalige Schock der Niederlage führte den Parteistrategen (und heutigen Präsidenten) Lal Krishna Advani zur Einsicht, daß die BJP nur eine Chance habe, wenn sie sich auf eine eindeutig definierte Wählerschaft verlassen könne. So wie die Kongreß- Partei die Minderheiten und die Kastenlosen als „Stimmenreservoirs“ pflegte, genauso mußte die BJP an die numerische Mehrheit der Hindus (80 Prozent der Bevölkerung) appellieren, wollte sie gewinnen.

Die Moschee von Ayodhya, angeblich genau über dem Geburtsort des Hindu-Gotts Ram gebaut, war der emotionale Zunder, mit dem die BJP die Hindus um sich scharte. Bereits 1989 gewann sie 86 Sitze, 1991 waren es 119, und nach dem Sturm auf Ayodhya und den blutigen Religionsunruhen meinte Advani, 1996 erstmals zur Macht greifen zu können. Es mißlang. Advani mußte feststellen, daß die indische Gesellschaft sich nicht einfach in religiöse Kategorien einordnen läßt. Die Kastenunterschiede sind womöglich noch stärkere Merkmale der sozialen Differenzierung, und die große regionale Vielfalt gibt jedem Inder eine weitere Identität. Die BJP mußte feststellen, daß sie auf rund 35 Prozent der Stimmen steckenzubleiben drohte und dringend auf Partner angewiesen ist.

Die Niederlage 1996 ließ sie daher nach Partnern Ausschau halten, die sich als Regionalparteien anboten. Solche Allianzen geben der BJP eine lokale Akzeptanz und bieten den kleinen Parteien die Chance, in der nationalen Politik eine Rolle zu spielen. Vor allem aber helfen sie der BJP, das Stigma der Unberührbaren zu überwinden. Jetzt hat sich diese Strategie ausgezahlt. Der BJP fehlen nur noch wenige Sitze zur Machtübernahme. Der Übertritt kleiner Parteien und von Unabhängigen könnte diese Lücke schließen.

Falls die BJP an die Macht kommt, wird es dann noch immer die gleiche chauvinistische Partei sein, die ein „Ram Rajya“ – eine hinduistische Renaissance unter dem Zeichen des Gottes Ram – einläuten will? Oder wird die Partei ihre religiöse Agenda aufweichen müssen, wenn sie ihre Partner bei der Stange halten will? Seitdem die BJP regierungsfähig geworden ist, wird dies in Indien heftig diskutiert. Das Wahlprogramm der BJP ist kämpferisch und unnachgiebig. Doch im Wahlkampf gab sich Vajpayee, der BJP-Kandidat für das Amt des Regierungschefs, versöhnlich. „Geben wir ihr eine Chance“, meinte ein Erstwähler der BJP. „Erst wenn sie an der Regierung ist, werden wir sehen, ob Vajpayee nur die Maske ist – oder das neue Gesicht der BJP.“ Bernhard Imhasly

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen