: Hoffen auf echte Liberale bei den „Liberalen“
■ Vermittlungsausschuß befreit sensible Berufe vom Abhören. Was tut der Bundestag?
Freiburg (taz) – Das Tauziehen um den Großen Lauschangriff geht weiter. Am späten Montag abend kam es im Vermittlungsausschuß (VA) von Bundesrat und Bundestag nur zu einem „unechten“ Vermittlungsergebnis: Weil ein Kompromiß mit den Regierungsfraktionen nicht möglich war, setzten SPD und Grüne in dem Gremium ein Lauschverbot für besonders sensible Berufsgruppen durch. Im Bundestag hängt es nun von den Liberalen ab, ob das „Vermittlungsergebnis“ Gesetz wird.
Ende Januar stimmten im Bundestag noch 10 FDPlerInnen gegen die Grundgesetzänderung. Wenn nur sieben von ihnen liberal bleiben und das Vermittlungsergebnis mittragen, könnte die Regierung eine Niederlage erleiden. Der FDPler Max Stadler wies aber gestern darauf hin, daß der VA für seinen Geschmack „zu viele“ Ausnahmen vom Lauschen beschlossen hätte.
Aber auch innerhalb der Parlamentslinken gibt es keine einhellige Auffassung darüber, wer in seiner Wohnung abgehört werden darf. Es wird zwar damit gerechnet, daß neben der SPD auch die Bündnisgrünen und die PDS dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmen werden. Für PDS und Grüne, die ihre Linie gestern abend festlegen wollten, ist das heikel. Sie lehnen den Lauschangriff grundsätzlich ab.
Im laufenden Verfahren des Vermittlungsauschusses ging es nur um die Ausführung des Lauschangriffs im Detail. Die erforderliche Grundgesetzänderung hatte der SPD-dominierte Bundesrat bereits Mitte Februar mit Zweidrittelmehrheit abgesegnet. Das heißt: In Zukunft wird es den Beamten von Polizei, Zoll und Geheimdienst möglich sein, mit richterlicher Genehmigung in Wohnungen einzubrechen und Wanzen zu setzen. Entscheidend für die Grundgesetzänderung war die Stimme von Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD), ursprünglich ein erklärter Gegner des Lauschangriffs. Um ihr Gesicht zu wahren, blockierten Scherf und die SPD die Änderung der Strafprozeßordnung und riefen den Vermittlungsausschuß an.
Umstritten ist jetzt noch die Frage, welche Berufsgruppen generell gegen Polizeiwanzen zu schützen sind. Der Bundestag wollte ein solches Verbot nur für PfarrerInnen, StrafverteidigerInnen und Abgeordnete. Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses geht dagegen weiter als erwartet: Er will alle Berufsgruppen, denen vor Gericht ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, vom Abhören ausnehmen. Neben ÄrztInnen, JournalistInnen und RechtsanwältInnen wären so auch WirtschaftsprüferInnen oder DrogenberaterInnen vom Mithören der Sicherheitsbehörden befreit.
Falls das Vermittlungsergebnis morgen im Bundestag scheitert, käme am Freitag erneut der Bundesrat zum Zuge. Erforderlich ist dann eine einfache Mehrheit der Länderstimmen. Da sich die rot- grünen Länder erneut enthalten werden, kommt es darauf an, wie sich die übrigen SPD-Länder verhalten. Bleiben sie hart, wäre der Lauschangriff weiter blockiert. Der nun „tonangebende“ Gerhard Schröder hatte jedoch schon vor Wochen erklärt, daß er mit der ersten Variante des Lauschangriffs leben könnte. Christian Rath
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